Beitrag von Alexey Miller zu Prognosen und Problemen der Weltgasindustrie im 4. Petersburger Internationalen Gasforum
PRESSEMITTEILUNG
Pressemitteilung
Sehr geehrte Kollegen, liebe Freunde!
Das von den Veranstaltern vorgegebene Thema lässt sich ohne Zweifel als allumfassend bezeichnen: Prognosen und Probleme der Weltgasindustrie.
Wenn wir aber das Grundproblem der Weltgasindustrie ansprechen, so besteht es darin, dass in der aktuellen Zeitperiode alle Prognosen versagen. Auf diesen Prognosen basierende Strategien versagen ebenfalls. Es gibt sicherlich absolut unanfechtbare Dinge, und wenn es um langfristige Perspektive geht, glauben wir, dass gegen 2050 das Gas in der Weltenergiebilanz – ich betone, Erdgas – ein Drittel ausmachen wird. Und das Volumen seiner Produktion im Weltmaßstab 7 Trillionen Kubikmeter pro Jahr übersteigen wird. Dabei wird die Elektroenergiewirtschaft als Verbraucher von Erdgas auf Platz eins liegen. Das ist es, was die unanfechtbaren Dinge betrifft.
Wir glauben, dass gegen 2050 das Gas in der Weltenergiebilanz – ich betone, Erdgas – ein Drittel ausmachen wird. Und das Volumen seiner Produktion im Weltmaßstab 7 Trillionen Kubikmeter pro Jahr übersteigen wird.
Schauen wir nun auf mittelfristige Strategien und Prognosen. Erst vor kurzem behaupteten alle, dass der Tag nicht mehr fern liegt, da der Gasmarkt, der Weltgasmarkt globale Dimensionen erreichen wird. Dazu wurden, wie es damals schien, begründete Erläuterungen und Annahmen formuliert, weshalb dies eintreten sollte. Diese Prognosen und diese Strategien basierten darauf, dass die Produktion von verflüssigtem Erdgas steigen würde. Was verflüssigtes Erdgas anbetrifft, der Handel damit besitzt indes eine Reihe von Eigenschaften, die für den klassischen Börsenmarkt für Erdöl charakteristisch sind. Die Strategie wie die Prognose gingen davon aus, dass mit der Entwicklung der LNG-Produktion, mit der Vergrößerung seines Anteils, des Volumens auf dem Weltgasmarkt zum einen eben verflüssigtes Erdgas große regionale Märkte integrieren wird, zum anderen der Börsenpreis für LNG die Basis der Preisbildung auf dem globalen Gasmarkt bilden wird.
Wie wir alle sehen und erkennen, ist es nicht eingetreten. Wir fixieren vielmehr ein vollkommen anderes Bild. Wir sehen die Entwicklung etlicher großer regionaler Märkte – des Marktes Nordamerikas, des Marktes der asiatisch-pazifischen Region, des Marktes Europas. Aber diese Märkte entwickeln sich im Einklang mit ihren eigenen Tendenzen, vor allem sind die Perspektiven dieser Märkte ebenfalls sehr unterschiedlich. Am wichtigsten ist aber, dass die Produktion von verflüssigtem Erdgas, nachdem diese am Welthandel einen Anteil von 30 Prozent erreichte, dabei stehen geblieben ist. Es lässt sich in der Tat momentan vorhersagen, dass sich der Anteil von verflüssigtem Erdgas am Welthandel in mittelfristiger und langfristiger Perspektive nicht ändern und auf der Ebene von 30 Prozent verbleiben wird. Verflüssigtes Erdgas hat sich nicht als Faktor der Integration regionaler Märkte zum globalen Weltmarkt etablieren können, sondern wurde zum Gegenstand eines Wettbewerbs zwischen den großen regionalen Märkten.
Der Anteil von verflüssigtem Erdgas am Welthandel wird sich in mittelfristiger und langfristiger Perspektive nicht ändern und auf der Ebene von 30 Prozent verbleiben.
Eine identische Rolle bei der Entstehung eines globalen Marktes wurde erst vor kurzem auch dem Schiefergas zugewiesen. Wir alle wissen sehr wohl, dass buchstäblich erst vor ganz kurzer Zeit alle behauptet hatten, Schiefergas würde erstens die Gasmarktstruktur im globalen Maßstab in wesentlicher Weise verändern und zweitens in wesentlicher Weise die Mechanismen der Preisbildung beeinflussen. Nichts davon ist eingetreten. Die Schiefer-Revolution ging irgendwie sehr schnell in einen Schiefer-Untergrund über, und die Produktion von Schiefergas erwies sich als eine Art lokales Element der Strategie der Arbeit auf dem nordamerikanischen Markt. Soweit es um eine Prognose bezüglich des globalen Marktes geht, glaube ich, dass wir alle heute damit einverstanden sind, dass wir weder in mittel- noch in langfristiger Perspektive einen globalen Gasmarkt sehen werden. Wir werden vielmehr die Entwicklung einzelner großer regionaler Gasmärkte in verschiedenen Regionen der Welt erleben.
Ein paar Worte zum nordamerikanischen Markt, zu seinen Problemen und Aussichten. Nur ein paar Worte, weil er für uns doch kein Markt ist, auf dem wir tätig sind. Ich glaube, der nordamerikanische Gasmarkt wird in den nächsten 10 bis 20 Jahren mit seinen eigenen Problemen zu tun haben. Das größte Problem dieses Marktes besteht darin, dass er mit eigenen Erdgasressourcen unzureichend abgedeckt ist. Die Erdgasvorräte reichen nicht aus, um in langfristiger Perspektive die Gasbilanz des nordamerikanischen Marktes aufrechtzuerhalten. Das Hauptproblem dieses Marktes ist deshalb die Auffüllung der Vorräte an Erdgas und die Erkenntnis, wie der nordamerikanische Markt den Verlust dieser heute noch großen Komponente im Block der Erdgasgewinnung aus seiner Bilanz kompensieren wird.
Ich glaube, der nordamerikanische Gasmarkt wird in den nächsten 10 bis 20 Jahren mit seinen eigenen Problemen zu tun haben.
Bis in die jüngste Zeit hinein war es durch die Förderung von Schiefergas möglich, aber die Perspektiven der Förderung von Schiefergas sind, wie wir sehen, nicht unbeschränkt, und wir können wahrscheinlich davon sprechen, dass wir jetzt eine gewisse fixierte Grenze in der Struktur der Förderung von Schiefergas auf nordamerikanischem Markt sehen werden. Die Rolle des nordamerikanischen Marktes wird im internationalen Maßstab wahrscheinlich recht stark limitiert sein, und, ich wiederhole es, in mittelfristiger Perspektive wird sich dieser Markt auf die Lösung seiner eigenen Fragen und Probleme konzentrieren.
Der Markt der asiatisch-pazifischen Region ist, wie wir wissen, der dynamischste, der am schnellsten wachsende und der aussichtsreichste Markt. Welche Probleme lassen sich für diesen Markt prognostizieren? Das sind zum einen sicherlich die so genannten Wachstumsprobleme. Und zum anderen kann man vermuten, dass sich die interregionale Konkurrenz um Ressourcen, die interregionale Konkurrenz auf dem asiatisch-pazifischen Markt selbst verstärken wird.
Der Markt der asiatisch-pazifischen Region ist, wie wir wissen, der dynamischste, der am schnellsten wachsende und der aussichtsreichste Markt.
Wir haben als Gazprom diesen Markt im laufenden Jahr erschlossen, wir haben einen sehr günstigen Vertrag abgeschlossen, an dem wir – dies ist der Vertragspreis für 30 Jahre – 400 Milliarden Dollar verdienen werden. Doch dies ist in Wirklichkeit erst ein Anfang, und die Aussichten der Lieferungen von Pipelinegas auf den chinesischen Markt sind schlichtweg gewaltig. Und wir sprechen bereits in der laufenden Zeitspanne davon, dass unsere Lieferungen in der nächsten Perspektive auf 60, ja sogar auf 100 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr anwachsen können. Der Markt der asiatisch-pazifischen Region ist zwar immer noch ein LNG-Markt, und wir wissen, dass der Anteil von verflüssigtem Erdgas in führenden Ländern der asiatisch-pazifischen Region in der Struktur der Gasbilanz dominiert, aber wir können allem Anschein nach vorhersagen, dass der Anteil von Pipelinegas auf dem Markt der asiatisch-pazifischen Region und auf dem Markt Chinas immer mehr wachsen wird.
Der Anteil von Pipelinegas auf dem Markt der asiatisch-pazifischen Region und auf dem Markt Chinas wird immer mehr wachsen.
Der europäische Markt ist der Markt Nummer eins. Schauen wir uns an, was hier bei uns mit jenen Strategien und jenen Prognosen geschah und geschieht, die noch buchstäblich während der letzten fünf bis zehn Jahre formuliert wurden. Erstens ist allen die Strategie „20-20-20“ in der Energiewirtschaft sehr wohl bekannt. Es ist ohne Zweifel eine Strategie mit positiven Zielen: Erneuerbare Energiequellen, Umweltfreundlichkeit, Reduzierung der Preise. Doch was liegt als Ergebnis vor? Erstens sehen wir, dass in den erneuerbaren Energiequellen mehr als 400 Milliarden Dollar investiert wurden, doch was ist das Resultat? Die Emissionen an Treibhausgasen sind gegenüber dem Stand zu Beginn der Realisierung dieses Programms gewachsen. Zweitens, was selbst die Preise betrifft. Schauen wir auf die Struktur der Selbstkosten in der europäischen Industrie und wir werden sehen, dass die Energiekosten in der Produktion europäischer Unternehmen gestiegen sind. Ausschlaggebend ist, dass unter anderem auch deswegen die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produkte gesunken ist. Greift diese Strategie? Offenbar nicht.
Schauen wir auf die Struktur der Selbstkosten in der europäischen Industrie und wir werden sehen, dass die Energiekosten in der Produktion europäischer Unternehmen gestiegen sind. Ausschlaggebend ist, dass unter anderem auch deswegen die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produkte gesunken ist.
Aber es gibt auf dem Markt der Europäischen Union auch andere Strategien in der Energiewirtschaft und in der Gasbranche, die ebensolche Resultate brachten und bringen. Die Strategie der Diversifizierung der Quellen der Gaslieferungen, Diversifizierung der Quellen der Versorgung mit Ressourcen. Europa hat eine riesige Anzahl von Terminals zur Übernahme von verflüssigtem Erdgas gebaut, die momentan zu 20 Prozent ausgelastet sind. Es fragt sich weshalb? Weil der Kampf um LNG preislich an die asiatisch-pazifische Region verloren wurde.
Eine weitere Strategie ist der Südliche Korridor. Lieferung von Erdgas aus der Kaspischen Region, Lieferung von Erdgas aus Zentral-, aus Mittelasien auf den europäischen Markt. Doch was sehen wir in Wirklichkeit? Die Perspektiven des Südlichen Korridors sind verloren gegangen. Aktuell verbleiben auf dem Verhandlungstisch lediglich zehn Milliarden Kubikmeter Jahreslieferungen von Gas aus diesen Regionen. In diesem Saal sind Experten anwesend, die begreifen, was zehn Milliarden Kubikmeter Gas für den europäischen Markt bedeuten – es ist in Wirklichkeit ein Tropfen auf einen heißen Stein. Diversifizierung der Ressourcenbasis ist fehlgeschlagen.
Schauen wir auf die Struktur der Selbstkosten in der europäischen Industrie und wir werden sehen, dass die Energiekosten in der Produktion europäischer Unternehmen gestiegen sind. Ausschlaggebend ist, dass unter anderem auch deswegen die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produkte gesunken ist.
In diesem Zusammenhang ist die Strategie der Arbeit auf dem Markt durch Spothandel, durch Schaffung von Hubs in Wirklichkeit gleichfalls gescheitert, weil aus dem Grunde, dass keine Gaslieferungen aus diversifizierten Quellen gesichert wurden, die Handelsplattformen keine Liquidität erzielen konnten. Sie nehmen momentan keine Funktion der Preisbildung auf dem Gasmarkt wahr. Die Schlussfolgerung ist in Wirklichkeit sehr einfach und die Prognose ist sehr einfach: Es können wahrscheinlich neue Ansätze in der Preisbildung für Gas aktuell werden und diese neuen Ansätze können die Spotplattformen und Hubs auf dem europäischen Gasmarkt beiseite drängen.
Was nun unsere Gazprom-Berechnungen und –Strategien angeht, so sehen wir in Wirklichkeit ganz gewiss auch hier eine bestimmte Art von Fragen. In erster Linie möchte ich dem Moderator sagen, was unsere Bilanz, die Gazprom-Bilanz angeht – Gazprom arbeitet in erster Linie mit der Bilanzmethode: Wir kennen unsere Verpflichtungen gegenüber unseren ausländischen Konsumenten, denn die Basis unserer Arbeit sind langfristige Verträge, wir kennen unsere Verpflichtungen auf dem Binnenmarkt.
Es können wahrscheinlich neue Ansätze in der Preisbildung für Gas aktuell werden und diese neuen Ansätze können die Spotplattformen und Hubs auf dem europäischen Gasmarkt beiseite drängen.
Was nun die Prognosen und unsere Pläne für die mittel- und die langfristige Perspektive anbetrifft, unter anderem wie viel wir gewinnen und auf den Markt liefern werden, diese Prognosen sind ausgesprochen präzise. Sie sind jedenfalls präzise genug, um eine angemessene Ressourcenbasis zu besitzen, die uns befähigt, umgehend und sofort auf alle Herausforderungen des Marktes zu reagieren. Heute besitzt die Gazprom Kapazitätsreserven in der Gasförderung. Wir werden im laufenden Jahr wahrscheinlich 463 Milliarden Kubikmeter Gas gewinnen, aber unsere aktuellen Förderkapazitäten betragen 617 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr. Wir verfügen über diese Kapazitäten selbstverständlich unter anderem nicht allein, um operativ diese oder jene Herausforderungen des Marktes erwidern zu können, sondern in erster Linie, um gemeinsam ruhig und zuverlässig den Winter bewältigen, das Herbst-Winter-Maximum bewältigen zu können.
Unsere Gazprom-Strategie in Europa im Verlaufe einer mittelfristigen Periode beruhte darauf, dass wir auf den Endverbraucher zugehen. Wir gehen auf den Endverbraucher zu und schaffen Wertketten von der geologischen Erkundung und Förderung hin zu Transport, Speicherung und Verteilung bis zum Endverbraucher, und in jedem dieser Kettenglieder sind wir bestrebt, gemeinsame Projekte mit unseren ausländischen Partnern zu kreieren mit dem Ziel, die Risiken in jedem Glied dieser Kette zu diversifizieren und Mehrwert zu schaffen. Greift diese Strategie heute? Ich glaube, es wäre wohl richtiger zu antworten: teilweise.
Unsere aktuellen Förderkapazitäten betragen 617 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr. Wir verfügen über diese Kapazitäten selbstverständlich unter anderem nicht allein, um operativ diese oder jene Herausforderungen des Marktes erwidern zu können, sondern in erster Linie, um gemeinsam ruhig und zuverlässig den Winter bewältigen.
Erstens ist der Markt der Europäischen Union, der Markt Europas heute kein Verbrauchermarkt. Wenn er aber heute kein Verbrauchermarkt ist, sollten wir uns wohl kritisch die Frage stellen, ob es angebracht sei, auf den Endverbraucher auf einem Markt zuzugehen, der kein Verbrauchermarkt ist? In diesem Zusammenhang ergibt sich die nächste logische Frage: Ist es in diesem Fall erforderlich, der Schaffung einer Wertschöpfungskette von der geologischen Erkundung und Förderung bis hin zum Endverbraucher so viel Aufmerksamkeit zu widmen? Es ist eine Arbeitsfrage. Eine Antwort wissen wir momentan nicht, aber wir können auch nicht sagen, ob diese Strategie greift.
Absolut zutreffend ist das, was wir heute in diesem Saal sagen können: Die Gazprom analysiert und prüft kritisch jene Strategien, denen sie in letzter Zeit gefolgt war. Dies soll nicht heißen, dass wir diese Strategien und diese Ansätze ändern werden, aber auch das ist nicht ausgeschlossen. Und es ist in jedem Fall ganz sicher nicht ausgeschlossen, dass wir diese oder jene Projekte kritischer prüfen werden, die wir gerade als Projekte für einzelne Glieder der Wertschöpfungskette geplant haben. Was kann mit diesen Projekten geschehen? Jedenfalls können sie als Minimum gewisse Änderungen erleben, sie können in gewisser Weise modifiziert werden.
Die Gazprom analysiert und prüft kritisch jene Strategien, denen sie in letzter Zeit gefolgt war. Dies soll nicht heißen, dass wir diese Strategien und diese Ansätze ändern werden, aber auch das ist nicht ausgeschlossen.
In der Endkonsequenz kann es aber nur eine Schlussfolgerung geben: Der Gasmarkt entwickelte sich in allen Regionen der Welt in jüngster Zeit ausgesprochen dynamisch, Wandlungen vollzogen sich sehr zügig, Strategien, an denen sich die Unternehmen auf den Märkten orientierten, veralteten sehr schnell. Offenbar stehen alle Spieler auf den Gasmärkten – dies gilt sowohl für den Markt Nordamerikas als auch den Markt der asiatisch-pazifischen Region und den Markt der Europäischen Union – offenbar stehen sie alle vor der Wahl neuer Strategien, vor der Wahl neuer Ansätze. Um auf den globalen Markt zurück zu kommen, können wir sagen: Natürlich, es wird keinen globalen Markt geben, aber es wird globale Spieler, es wird eine globale Positionierung geben, und die Märkte werden sich zweifelsohne gegenseitig immer mehr beeinflussen.
Das 20. Jahrhundert ist ein Jahrhundert des Erdöls gewesen, und das 21. Jahrhundert ist ein Jahrhundert von Gas.
Zum Abschluss meines Beitrags möchte ich etwas absolut Unanfechtbares äußern, etwas, womit absolut alle in diesem Saal einverstanden sein werden. Wir sagen, dass das 20. Jahrhundert ein Jahrhundert des Erdöls gewesen ist, und das 21. Jahrhundert ist ein Jahrhundert von Gas.