Rede des Vorstandsvorsitzenden der ОАО Gazprom, Alexey Miller, auf der Konferenz „Europa und Eurasien: Auf dem Weg zum neuen Modell der Energiesicherheit“

Konferenz „Europa und Eurasien: auf dem Weg zu einem neuen Modell der Energiesicherheit“ (organisiert durch den Internationalen Diskussionsklub „Valdai“), Berlin, Deutschland

 

Europa und Asien: Auf dem Weg zum neuen Modell der Energiesicherheit. Ein Querschnitt durch den Gasmarkt. Im Geiste der Rhetorik, die in letzter Zeit hin und wieder auf dem Gasmarkt zu hören ist, kann so mancher sagen, wir sind nicht auf dem Weg, wir sind auf dem Marsch. Wir werden aber trotzdem „auf dem Weg“ sagen, und zwar im Bewusstsein, dass ein Weg ein Bewegungsvektor ist, und für die Gazprom ist dies ganz gewiss ein Vektor der Bewegung von der europäischen Strategie zur eurasischen Strategie der Arbeit auf dem Markt, und auch im Bewusstsein, dass nun ein neuer – der eurasische – Megamarkt für Gas im Entstehen begriffen ist.

Ein neuer – der eurasische – Megamarkt für Gas ist gegenwärtig im Entstehen begriffen.

Dafür gibt es in der Tat bereits vollkommen objektive Voraussetzungen. Erstens hat die Gazprom mit dem Aufbau von Gastransportkapazitäten in Sibirien begonnen, die nicht nur den Export von russischem Gas nach China sicherstellen, sondern auch das Gastransportsystem von Ost und West miteinander verbinden werden. Ein sehr wichtiger Aspekt ist es auch, dass für diese beiden Märkte heute eine starke gemeinsame Ressourcenbasis geschaffen wird – dies ist die Ressourcenbasis Westsibiriens. Nicht minder wichtig ist es für die Gazprom ferner, dass die Gesellschaft ihre eurasische Strategie höchstwahrscheinlich gemeinsam mit ihren neuen strategischen Partnern auf dem neuen Megamarkt umsetzen wird.

Dies wird ganz gewiss unsere europäische Strategie unmittelbar beeinflussen. Es wäre zu verstehen, dass die eurasische Strategie nicht von heute auf morgen wirksam wird, sie wächst aus unserer Arbeit, sie wächst aus unserem Geschäft hervor. Es lässt sich nicht sagen, da hätte sich jemand hingesetzt und einen Kugelschreiber in die Hand genommen oder jemand wäre an den Computer herangetreten und hätte irgendeine neue Strategie geschrieben oder getippt, nach der sich die weitere Arbeit, die Zielsetzung richten soll. Nein, überhaupt nicht, wir erkennen sehr wohl, dass wir von den Marktrealitäten ausgehen, wir gehen von jenen Faktoren aus, die wir auf dem Markt beobachten, von jenen Risiken, den wir auf dem Markt sehen.

Nicht minder wichtig ist es für die Gazprom ferner, dass die Gesellschaft ihre eurasische Strategie höchstwahrscheinlich gemeinsam mit ihren neuen strategischen Partnern auf dem neuen Megamarkt umsetzen wird.

Ich weiß aber, dass in den Diskussionen, die es heute schon gegeben hat, die Tendenzen der Preisbildung auf europäischem Markt angesprochen wurden. In der Diskussion geht es traditionell darum, ob die Rolle von Erdöl und Erdölprodukten in der Preisbildung für Gas erhalten bleibt und welche Rolle die Spotmärkte spielen werden, ob diese Rolle zunehmen oder ob sie abnehmen wird. Man sollte jedoch ohne Zweifel begreifen, dass in allernächster Perspektive der asiatische Markt an sich als Faktor der Preisbildung auf den Plan treten wird. Dies ist objektive Realität, das sollte begriffen werden.

Was nun das Modell der Energiesicherheit angeht, so lässt sich hier sagen, dass es bereits zu Wandlungen, und zwar zu überaus ernsthaften Wandlungen gekommen ist. Im Verlaufe der letzten zehn Jahre wurde ein Modell der Energiesicherheit in die Tat umgesetzt, das auf gegenseitiges Durchdringen und gegenseitiger Abhängigkeit mit Elementen einer Diversifizierung basierte. Die am meisten beeindruckende Veranschaulichung dieses Modells wechselseitigen Durchdringens ist der Aufbau einer Kette zwischen dem Produzenten und dem Käufer, und zwar von der geologischen Erkundung und Förderung über Transport, Lagerung bis hin zur Verteilung auf die Endkunden. Es gibt sehr eindrucksvolle erfolgreiche Beispiele, wie etwa die Zusammenarbeit mit unseren deutschen Partnern – unseren Partnern, mit denen uns seit bereits vielen Jahrzehnten strategische Zusammenarbeit verbindet. Das ist ein vollkommen erfolgreiches Projekt, ein Projekt, das die Mitwirkung von Produzenten und Verbrauchern in jedem Glied dieser Kette sicherstellt.

In letzter Zeit fällt dieses Modell leider der Vergangenheit anheim, an seine Stelle tritt das Modell reiner Diversifizierung. Sowohl seitens der Kunden als auch seitens der Produzenten sind Äußerungen über Diversifizierung der Märkte, über Diversifizierung der Ressourcenbasis, der Lieferanten, Diversifizierung der Transportrouten, Diversifizierung der Endprodukte aus der Produktion, Diversifizierung der Endprodukte des Verbrauchs. Ob es gut oder schlecht ist, wird das Leben lehren, aber wir können zweifelsohne sagen, dass wir diesem Modell zugrunde liegende ernste Risiken erkennen. Ich muss, wenn wir vom Projekt der Europäischen Energieunion sprechen, gleich feststellen, dass dieses Projekt dieses auf Diversifikation basierende Modell der Energiesicherheit als Eckstein einschließt.

Was nun das Modell der Energiesicherheit angeht, so lässt sich hier sagen, dass es bereits zu Wandlungen, und zwar zu überaus ernsthaften Wandlungen gekommen ist.

Es sollte gesagt werden, dass die Gazprom bereit ist, auf dem europäischen Markt auch im Rahmen dieses Modells mit der Europäischen Kommission zu arbeiten. Wir werden mit jenen Modellen arbeiten, wir werden nach jenen Regeln arbeiten, die auf dem europäischen Markt gelten werden. Zumal wir, soweit es um das Projekt der Europäischen Energieunion geht, der Meinung sind, dass es dort sehr viele interessante Ideen, sehr viele interessante Regelungen gibt. Ich glaube, die Ziele und die Aufgaben, die dort verkündet werden, sind unsere gemeinsamen Ziele.

Lassen Sie uns beispielsweise das Thema gerechter Preise ansprechen. Gerechte Gaspreise, nicht gerechte Gaspreise – das ist eine ernsthafte Frage. Der Gazprom wird unter anderem vorgeworfen, dass die Gaspreise für Verbraucher in verschiedenen Ländern jeweils unterschiedlich sind. Das ist eine objektive Situation. Es werden doch Anschuldigungen laut, die Gazprom lege für bestimmte Kunden ausgesprochen niedrige und für andere Kunden ausgesprochen hohe Preise fest. Und somit sollte man sich in Richtung gleicher Preis Gedanken machen und hinbewegen. Aber wenn Sie und wir den europäischen Gasmarkt gut kennen, wissen wir, dass er fragmentarisch strukturiert ist. Was nun die Gaspreise in jedem einzelnen Land betrifft, so sind diese Preise unter anderem durch die Energiebilanz jedes konkreten Landes, durch jene Rolle geprägt, die Gas in dieser Energiebilanz spielt. Und auch durch die Erkenntnis, dass diese Preise auch mit dem Beitrag zusammenhängen, den die Unternehmen des jeweiligen Landes zum Aufbau dieser Sicherheitskette des vorherigen Modells der Energiesicherheit geleistet haben, das im Verlauf der letzten zehn Jahre praktiziert wurde. Ein anschauliches Beispiel dafür ist Deutschland. Die niedrigsten Gaspreise gelten bei uns gemäß langfristigen Lieferverträgen für deutsche Verbraucher. Ist das ein Zufall oder nicht? Nein, das ist kein Zufall. Wir wissen, welch eine wichtige Rolle Gas auf dem deutschen Markt spielt. Wir richteten uns in unserer Arbeit in der Preisbildung auf dem deutschen Markt nach dem Markt, nach dem deutschen Markt. Wohl wissend, was für eine Rolle Gas in der deutschen Industrie, in der deutschen Wirtschaft spielt.

Es stellt sich nun die Frage: Weshalb wird uns vorgeworfen, die Preise für andere Länder der Europäischen Union wären höher als die Preise für Deutschland? Wenn jemand vorschlägt, diese Preise auszugleichen, dann wollen wir schauen, ob es machbar ist und ob es lohnt. Wenn wir sagen, dass diese Preise unterschiedlich sind, dann wollen wir schauen, wie diese Preise gestaltet wurden, weshalb wir auf ein solches Niveau kamen, weshalb die Preise für Firmen dieser oder jener Länder niedriger und für andere Firmen höher sind? Falls wir annehmen, dass die EU-Kommission den Weg einschlägt, die Preise anzugleichen, so ist, wie Sie begreifen, gleicher Preise nicht der niedrigste Preis, zu dem wir Gas nach EU-Ländern liefern, sondern der Cut-off-Preis wird der höchste sein.

Die niedrigsten Gaspreise gelten bei uns gemäß langfristigen Lieferverträgen für deutsche Verbraucher. Ist das ein Zufall oder nicht? Nein, das ist kein Zufall.

Was nun die Transparenz der Energiemärkte angeht: Es werden Vorwürfe geltend gemacht, die Energiemärkte wären nicht transparent genug. Schauen wir im Rahmen des Projekts der Europäischen Energieunion gemeinsam darauf. Schauen wir etwa auf die Transparenz der Gaspreise. Schauen wir auf die Transparenz der Preise für Elektroenergie. In diesem Saal wissen alle sehr gut, dass der Gazprom-Preis, zu dem wir Gas auf die Märkte der EU-Länder liefern, im Endverbraucherpreis lediglich 45–50 Prozent ausmacht. Bis etwa 30 Prozent sind es Steuern und Abgaben, der Rest ist die Marge der Firmen, die unmittelbar auf dem Binnenmarkt des jeweiligen Landes aktiv sind. Der Verbraucher sollte in diesem Fall wissen, wie der Endpreis definiert wird und auch, dass der Preis für russisches Gas, für Gazprom-Gas weniger als die Hälfte vom Endverbraucherpreis ausmacht. Und dass der Rest nicht unsere Komponente, keine Gazprom-Komponente ist. Der Verbraucher sollte wissen, welche Subventionen für erneuerbare Energiequellen gezahlt werden. Der Verbraucher sollte wissen, welcher Faktor für die Erhöhung der Preise für Elektroenergie ausschlaggebend ist. Dieser Faktor ist, wie Sie wissen, nicht der Faktor der Gaspreise. In diesem Fall ist eine offene, für alle, darunter auch für Markt-Teilnehmer vollkommen klare Diskussion erforderlich. Denn häufig kommen nach solchen populistischen Erklärungen Fragen von Menschen, die in diesem Industriezweig in anderen Ländern tätig sind, die schlecht wissen, wie der Gaspreis für Deutschland definiert wird

Lassen Sie uns schildern, wie der Gaspreis für Deutschland gestaltet wird. Ist Deutschland dazu bereit, nicht mehr den Gaspreis zu haben, der momentan gilt und der auf der Basis des auf gegenseitigem Durchdringen und gegenseitiger Abhängigkeit beruhendem Modell der Energiesicherheit festgelegt wurde, sondern einen Preis, dem ein anderes Modell zugrunde liegt. Ich betone, es muss ein vollkommen offenes und ehrliches Gespräch und kein Spiel auf ein Tor sein. Heute kommt es so, dass beim Übergang vom alten Modell der Energiesicherheit zum neuen Modell ein Missverhältnis zwischen den Risiken entstanden ist, die immer zwischen dem Lieferanten und dem Verbraucher verteilt wurden. Heute sehen wir, dass alle Risiken zielgerichtet und einseitig auf den Lieferanten übertragen werden. Das sind die Preisrisiken, das sind die Nachfragerisiken, das sind die Regulierungsrisiken, das sind die Transitrisiken. Das Wichtigste aber, worauf ich jetzt eingehen will, sind die Risiken des Aufbaus von Kapazitäten in der Förderung und die Risiken des Aufbaus von Transportkapazitäten.

Wir alle wissen sehr wohl, dass sich die Gazprom als Lieferant in der laufenden Periode mit gewissen Schwierigkeiten bei der Ausstellung von „Take or Pay“-Strafen konfrontiert sieht. Die Argumente sind sehr unterschiedlich, doch in der Endkonsequenz ist es klar, dass die wirtschaftliche Basis dieser Argumentation in der häufig schwierigen Wirtschaftslage liegt. Man sollte begreifen, dass die „Take or Pay“-Strafen im Grunde genommen Kapazitätsgebühren sind. Wir machen Zugeständnisse, fordern keine „Take or Pay“-Strafen ein, verlegen dementsprechend die Abnahme auf zukünftige Perioden und so weiter und so fort.

Heute sehen wir, dass alle Risiken zielgerichtet und einseitig auf den Lieferanten übertragen werden.

Aber, sehr geehrte Kollegen, die Gazprom hat Förder- und Transportkapazitäten aufgebaut, und zwar sogar in größerem Umfang als „Take or Pay“. Sie hat diese in einem Umfang aufgebaut, der vertragliche Jahresmengen für Gaslieferungen nach Europa an unsere Kunden gewährleistet. Da stellt sich die Frage: Wer bezahlt das alles überhaupt? Die Antwort lautet: Das bezahlt die Gazprom, denn wir tragen permanent Kosten für die Instandhaltung dieser Kapazitäten. Der Umfang dieser Kapazitäten ist inzwischen riesig. Die Förderkapazitäten der Gazprom belaufen sich heute auf 617 Milliarden Kubikmeter Gas. 2014 förderte die Gesellschaft lediglich 444 Milliarden Kubikmeter. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir ohne weiteres, im Fingerschnippen schlicht und einfach den Export von russischem, von Gazprom-Gas nach Europa verdoppeln können.

Was heißt das für uns? Für uns ist das, entschuldigen Sie, ganz gewiss ein Risiko. Von einer solchen Nachfrage und, vor allem, eine Erklärung, dass Europa sich auf russisches Gas stützen wird, haben wir nicht gehört. Doch in diesem Fall entstehen bei uns vollkommen begründet Ideen und Pläne in dem Sinne, dass wir ohne jedes Risiko für uns unsere überschüssigen Kapazitäten wahrscheinlich dafür nutzen können, Gas auf andere Märkte, unter anderem auf den asiatischen Markt zu liefern. Oder die Europäische Union, die EU-Kommission sollten sagen, dass sie diese Kapazitäten benötigen, dass sie mit diesen Kapazitäten rechnen. Dass der Markt diese Kapazitäten, die von der Gazprom im Rahmen langfristiger Verträge geschaffen wurden, nutzen wird. Doch heute gewährt niemand solche Garantien, sodass wir in vollem Umfang die Risiken der Schaffung neuer Gastransport- und Förderkapazitäten wie auch die Risiken in Verbindung mit jenen Kapazitäten tragen müssen, die schon da sind. Sie wissen, dass wir auf der Jamal-Halbinsel ein neues Zentrum der Gasförderung aufgebaut haben. Dies ist ein neues Zentrum der Gasförderung, das jetzt unser traditionelles Zentrum der Gasförderung in der Nadym-Pur-Tas-Region ablöst. Das Fördervolumen macht dort mehr als 300 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr aus. Wir haben neue Gastransportkapazitäten geschaffen: die Pipelines Bowanenkowo – Uchta, Uchta – Grjasowez, Uchta – Torschok. Die Erdgasleitung Bowanenkowo –Uchta ist überhaupt die modernste Festland-Pipeline weltweit. Doch alle diese Kapazitäten wurden in der laufenden Zeitspanne mit Blick auf den europäischen Markt aufgebaut. Europa soll eine eindeutige und klare Antwort geben: Werden diese Förderkapazitäten, wird diese Ressourcenbasis gebraucht? Oder braucht es diese Ressourcenbasis nicht? Die Abkehr vom Modell gegenseitigen Durchdringens und gegenseitiger Abhängigkeit erhöhte in Wirklichkeit die Transitrisiken und erhöht sie weiter.

Die Förderkapazitäten der Gazprom belaufen sich heute auf 617 Milliarden Kubikmeter Gas. 2014 förderte die Gesellschaft lediglich 444 Milliarden Kubikmeter. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir ohne weiteres, im Fingerschnippen schlicht und einfach den Export von russischem, von Gazprom-Gas nach Europa verdoppeln können.

Wir alle kennen das erfolgreiche Projekt Nord Stream gut. Heute wird, vor allem in Deutschland, niemand sagen, dieses Projekt wäre nicht vorteilhaft. Dieses Projekt diene nicht den Interessen des Lieferanten und der Abnehmer. Doch wir sollten begreifen, dass die Abkehr vom Modell gegenseitigen Durchdringens dazu geführt hat, dass wir das Projekt South Stream aufgeben mussten, das in Wirklichkeit gemeinsam mit unseren europäischen, darunter deutschen, Partnern haargenau nach eben diesem Modell umgesetzt wurde, nach dem Modell der Arbeit in dieser Kette – von der Exploration und Förderung bis hin zum Endkunden. Das Modell des Turkish Stream Projekts, das momentan umgesetzt wird – dieses Projekt wird realisiert – basiert bereits auf anderen Grundsätzen. Dies ist kein Modell gegenseitiger Abhängigkeit mehr, dies ist ein Modell reiner Diversifizierung, ein Modell der Diversifizierung der Transportrouten. Und was nun die Transitrisiken betrifft – wissen Sie, diese nehmen nicht ab, sie wachsen angesichts der Abkehr vom Modell gegenseitigen Durchdringens, des Verzichts auf das Modell gegenseitiger Abhängigkeit.

Das Gastransportsystem der Ukraine ist ein schwaches Kettenglied, das momentan schwächste Kettenglied in unseren gegenseitigen Beziehungen. Das Gastransportsystem der Ukraine birgt in Wirklichkeit ein ausgesprochen hohes Konfrontationspotential in sich. Man sollte jedoch begreifen, dass die 90 Prozent des russischen Gastransits durch das Territorium der Ukraine nach Europa im Grunde genommen ein Geschenk seitens der Sowjetunion an die Ukraine darstellten, das die Ukraine Anfang der neunziger Jahre erhielt. Doch wenn ein Geschenk als Manipulationsinstrument missbraucht wird, kann es nicht von Dauer sein.

Erstens will ich auf die Vorwürfe eingehen, wir würden so mir nichts, dir nichts die Ukraine umgehen, würden die Transitmengen reduzieren und das wäre nahezu heute passiert. Das trifft überhaupt nicht zu. Turkish Stream ist keineswegs das erste Projekt. Das erste Projekt zur Umgehung der Ukraine war Jamal – Europa, das wir gemeinsam mit unseren polnischen Partnern realisierten. Eben Jamal – Europa war das erste Projekt zur Umgehung der Ukraine. Das zweite Projekt war der Blue Stream in Richtung Türkei in Zusammenarbeit mit unseren italienischen Partnern. Deshalb ist Turkish Stream aus der Sicht der Umgehung der Ukraine als Transitland überhaupt nichts Neues.

Das Gastransportsystem der Ukraine ist ein schwaches Kettenglied, das momentan schwächste Kettenglied in unseren gegenseitigen Beziehungen.

Ebenso ist an der Aufgabe des South Stream Projekts nichts neu, denn wenn wir auf die jüngste Geschichte schauen, so wurde das Projekt Jamal – Europa-2 aufgegeben. Wir wurden daran gehindert, es umzusetzen. Das geschah Anfang der 2000er Jahre. Nun gut, wir durften Jamal – Europa-2 nicht realisieren, doch dafür wurde das wunderbare, absolut erfolgreiche Nord Stream Projekt gebaut. Heute werden Stimmen laut, wir sollten vielleicht auf das South Stream Projekt zurückgreifen. Daran ist auch nichts neu, denn als der Nord Stream gebaut wurde, ertönten ebenso Stimmen, wir sollen auf das Projekt Jamal— Europa-2 zurückgreifen und den Nord Stream nicht bauen.

Daraus folgt aber immer nur eins: Gastransportkapazitäten werden in erforderlichem Umfang und zu erforderlichen Terminen geschaffen. Unser Ansatz hinsichtlich des Turkish Stream ist in Wirklichkeit ausgesprochen einfach und klar: Wir haben entschieden, eine Ferngasleitung auf dem Grund des Schwarzen Meeres in Richtung Türkei zu bauen und Gastransportkapazitäten bis an die Grenze zwischen Türkei und Griechenland zu schaffen. Also bis an die Grenze der Europäischen Union. Und diese Kapazitäten werden geschaffen. Alle Risiken, die es gibt, und dies sind unter anderem Zeitrisiken beim Aufbau neuer Gastransportkapazitäten von der türkisch-griechischen Grenze, liegen bei der Europäischen Union, liegen bei der EU-Kommission. Die Termine sind sehr straff: Diese Kapazitäten sollen gegen Ende 2019 da sein. Damit diese Kapazitäten gegen Ende 2019 fertig sind, müsste schon heute mit dem Bauen begonnen werden. Doch dies ist vorerst nicht erkennbar. Aber wir haben gewarnt, wir begreifen, dass es in der laufenden Zeitspanne noch möglich ist, erforderliche Kapazitäten binnen erforderlicher Frist zu schaffen. Doch wenn diese Kapazitäten nicht zum erforderlichen Zeitpunkt da sind, trifft uns keine Schuld. In Russland heißt es dazu: „Gewarnt bedeutet gewappnet“.

Wir werden gefragt, ob die Gazprom bereit wäre, mit Investitionen am Aufbau neuer Gastransportkapazitäten an der Grenze zwischen Türkei und Griechenland teilzunehmen. Erstens will ich sagen, dass allein schon der Fakt der Initiierung des Turkish Stream Projekts für den europäischen Gasmarkt insgesamt eine Wohltat ist. Denn, wie wir wohl wissen, es fehlt Europa an grenzüberschreitenden Gastransportkapazitäten, sodass der Start des Turkish Stream Projekts einen sehr guten Impuls für die Entstehung solcher neuen Projekte grenzüberschreitender Infrastruktur gegeben hat. Da gibt es nun das East Ring Projekt, und es gibt das Projekt für den Bau einer Pipeline aus Griechenland über Serbien nach Baumgarten, es gibt Projekte von Griechenland nach Italien in Richtung Baumgarten – es ist also in der Tat ein ausgesprochen ernsthafter Impuls geworden. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir, falls wir zu diesem oder jenem Abschnitt eingeladen werden, diese Frage prüfen und womöglich, falls wir erkennen, dass dies von Vorteil ist, teilnehmen werden. Hier sollte unterstrichen werden, dass die Gazprom strikt nach Regeln des europäischen Marktes, strikt nach Regeln des Dritten Energiepakets arbeiten wird.

Alle Risiken, die es gibt, und dies sind unter anderem Zeitrisiken beim Aufbau neuer Gastransportkapazitäten von der türkisch-griechischen Grenze, liegen bei der Europäischen Union, liegen bei der EU-Kommission. Die Termine sind sehr straff: Diese Kapazitäten sollen gegen Ende 2019 da sein.

Als nun die Entscheidung getroffen wurde, den South Stream aufzugeben, gab es eine riesige Anzahl von Spekulationen – eben Spekulationen – bezüglich der angeblichen Weigerung der Gazprom, nach Regeln des Dritten Energiepakets zu arbeiten. Dies ist, entschuldigen Sie, absoluter Unsinn. Echter Unsinn. Erstens, was die Beschaffung von Genehmigungen angeht – das sind Genehmigungen für den Bau und nicht für den Betrieb, diese Genehmigungen werden ausschließlich durch die Regierungen der Teilnehmerländer des Projekts erteilt. Was aber die Einhaltung der europäischen Gesetzgebung anbetrifft, so kennen wir bei der Gazprom die Regelungen des Dritten Energiepakets nicht schlechter als unsere europäischen Partner, und wir besitzen eine klare Vorstellung davon, wie die Gazprom auf dem europäischen Markt unter den Konditionen des Dritten Energiepakets arbeiten kann. Die Lösungen und die Ansätze können im Rahmen des Dritten Energiepakets sogar unterschiedlich sein: Dort gibt es mehrere Modelle, mehrere Optionen. Die Begründung, mit der wir daran gehindert wurden, den South Stream zu realisieren, nämlich, die Gazprom sei nicht bereit gewesen, nach Regeln des Dritten Energiepakets zu arbeiten und die europäische Gesetzgebung einzuhalten, stimmt daher nicht. Das Ziel war in Wirklichkeit schlicht und einfach Aufrechterhaltung des Status quo des Transits durch die Ukraine. In der Blockierung des South Stream gab es in Wirklichkeit kein anderes Ziel.

Wenn aber jemand glaubt, durch Blockieren auch des Turkish Stream das angestrebte Ziel zu erreichen, ist dies tiefer Irrtum. Das ist ein sehr ernsthafter Irrtum. Erstens lassen sich diese Mengen auf andere Märkte umleiten, und zweitens – ich weise sie auf das hin, was unseren Wettbewerbsvorteil ausmacht – wir können uns eine Pause leisten. Wenn es darauf ankommt, legen wir halt eine Pause ein, falls wir einfach dazu gezwungen werden.

Was nun die zügige Entscheidungsfindung anbetrifft, so will ich sagen, dass dies ein weiterer Wettbewerbsvorteil von uns ist. Die Gesellschaft trifft strategische Entscheidungen und kann sie rasch realisieren, in die Tat umsetzen. Dafür gibt es jede Menge Beispiele. Ich glaube, derjenige, der den Gasmarkt beobachtet, weiß, wie operativ und sehr zeitgerecht die Gazprom diese oder jene Verwaltungsentscheidungen trifft und diese oder jene Projekte umsetzt.

Wenn aber jemand glaubt, durch Blockieren auch des Turkish Stream das angestrebte Ziel zu erreichen, ist dies tiefer Irrtum.

Allerdings ist der Gasmarkt als Ganzes ausgesprochen volatil. Wenn wir jetzt von der Situation des heutigen Tages sprechen wollen, von der Situation des 2. Quartals, so sehen wir als erstes jähe Zunahme unserer Gasexporte nach der Europäischen Union. In der ersten Dekade des 2. Quartals Machte sie über elf Prozent aus. Dafür gibt es eine Erklärung: Erstens liegt es am aktuellen Preisniveau auf dem europäischen Markt. Die Preise sind wesentlich gesunken. Zweitens sollten wir begreifen, dass europäische Verbraucher in diesem Winter recht große, wenn nicht gar größere Gasmengen aus Untertagespeichern in Europa abgeschöpft haben. Drittens glaube ich, dass der zurückliegende Winter, der, Gott sei gedankt, ohne ernsthafte Pannen wegen des ukrainischen Transits verlief, die europäischen Verbraucher, die Verbraucher in Deutschland noch besser erkennen ließ, mit was für Risiken der ukrainische Transit behaftet ist. Deswegen glaube ich, dass bei der Vorbereitung auf die Herbst-/Winterperiode, einschließlich 2015–2016, in die Untergrundspeicher in Europa, u.a. auch durch die Gazprom, sogar noch größere Mengen Gas eingespeichert werden als im Jahr zuvor. Wir sehen sehr wohl, dass sich die Dynamik der Preise momentan so entwickelt, dass die Preise im 3. Quartal höchstwahrscheinlich noch niedriger sein werden als im 2. Quartal. Hinsichtlich des 4. Quartals nehmen wir angesichts der aktuellen Tendenzen auf dem Markt für Erdöl und Erdölprodukte jedoch an, dass der Gaspreis über dem Preisniveau des 2. und 3. Quartals liegen wird. Das sehen unsere Verbraucher, sehen unsere Käufer, deshalb nehmen wir an, dass unsere Gasexporte nach Europa 2015 zunehmen werden.

Mir fielen gleich zwei Anfang des 2. Quartals erschienenen Veröffentlichungen führender Analytiker bekannter Finanz- und Kreditinstitute auf, die das Geschehen auf dem Energiemarkt beobachten. Wissen Sie, sie prognostizierten für die Gazprom Gaslieferungen nach Europa, die über unseren Plankennziffern liegen. Die Prognosen liegen jeweils bei 156 bis 177 Milliarden Kubikmeter Gas. Ich will daran erinnern, dass die Gazprom im vorigen Jahr 147 Milliarden Kubikmeter Gas geliefert hatte. Doch wir halten es für vollkommen realistisch, unter den aktuellen Verhältnissen den Stand von 2013 zu erreichen oder gar zu übertreffen.

Die Konjunktur hat auch die Situation mit Reverse-Lieferungen von Gas in die Ukraine schlagartig geändert. Alles hat sich sehr schnell gewandelt. Sie wissen, dass der heutige Gaspreis für die Ukraine weit unterhalb der Preise einer Reihe von EU-Ländern liegt, und das wirkte sich sofort auf die Reverse-Lieferungen aus. Gegenüber dem Höchststand der Reverse-Lieferungen in die Ukraine im 1. Quartal liegt das Niveau der Reverse-Lieferungen im 2. Quartal unter 15 Prozent. Dabei hat Ungarn die Reverse-Lieferungen voll eingestellt – das bringt schlicht und einfach nichts ein. Und hinsichtlich jener Reverse-Mengen, die heute noch in die Ukraine geliefert werden, kann man vermuten, dass sie dadurch begründet sind, dass die Verträge über Reverse-Lieferungen in die Ukraine ganz einfach für eine längere Periode abgeschlossen wurden.

Wir nehmen an, dass unsere Gasexporte nach Europa 2015 zunehmen werden.

Hinsichtlich des ukrainischen Themas muss man ganz sicher ein paar Worte zum Vertrag von 2009 sagen, der in Wirklichkeit unter dem Gesichtspunkt der Energiesicherheit, unter dem Gesichtspunkt der Stabilität der Situation, wissen Sie, eine Art Stahlbetonfundament unserer Arbeit bildet. Dies ist eine sehr ernsthafte Garantie, eine sehr ernsthafte Stütze in Bezug auf die Nivellierung ukrainischer Transitrisiken für europäische Kunden. Der Vertrag von 2009 wirkt. Wir richten uns strikt nach diesem Vertrag. Und dieser Vertrag wird bis zum Ende seiner Gültigkeitsdauer, bis Ende 2019 voll erfüllt werden.

Im Moment ist hinsichtlich der Konditionen der Gaslieferungen in die Ukraine für die nächste Perspektive alles vollkommen verständlich und klar. Es gibt absolut keine kritischen Fragen, nichts, was nicht ausgesprochen wäre, keine Unklarheiten hinsichtlich dessen, wie Gas in die Ukraine geliefert werden soll. Erstens sind es die Vertragskonditionen. Zweitens das, was den Preis betrifft. Der Vertrag sieht die Möglichkeit der Gewährung eines Rabatts durch die russische Regierung vor. Rabatte werden gewährt. Die Größe des Rabatts, der künftighin gewährt werden soll, wird sich jeweils nach dem Preisniveau in den Nachbarstaaten, in den Nachbarstaaten der Ukraine richten.

Was nun die „Take or Pay“-Strafen angeht, so haben wir in der laufenden Periode nicht vor, der Ukraine diese Strafen in Rechnung zu stellen. Deshalb ist die Situation hinsichtlich der Ukraine in der aktuellen Zeitspanne, hinsichtlich der Gaslieferungen in die Ukraine vollkommen klar und verständlich und, ich will es betonen, diese Situation ist für die NAK Naftogaz of Ukraine vollkommen verständlich. In unseren beiderseitigen Beziehungen gibt es momentan keine Fragen, die den Gegenstand für irgendwelche zusätzlichen Verhandlungen bilden könnten.

Wenn wir jetzt auf das Modell der Energiesicherheit zurückkommen, sollte gesagt werden, dass das Modell der Energiesicherheit für unseren europäischen Markt gewiss noch definiert werden wird. Erstens sollte gesagt werden, dass auch hinsichtlich des europäischen Modells, wie ich glaube, noch Zeit da ist, die Richtung, in die wir uns bewegen, kritisch zu betrachten. Und wissen Sie, es gibt gewisse optimistische Momente, die einen denken lassen, das an der Strategie der Arbeit, die die EU-Kommission für sich gewählt hat, bestimmte ernsthafte Korrekturen möglich sind. Anlass für diese gemäßigt-optimistische Betrachtung ist es, dass auf dem Verhandlungstisch immer noch Projekte bleiben, die auf dem Modell der Energiesicherheit basieren, das sich auf gegenseitige Abhängigkeit und gegenseitiges Durchdringen stützt. Dies ist erfreulich, deshalb glaube ich, dass unsere gemeinsame offene und ehrliche Arbeit in der Endkonsequenz doch dazu führt, dass wir das Vertrauen wiederherstellen, das in Wirklichkeit in vielerlei Hinsicht wohl doch, Sie werden es zugeben, unterwandert ist, aber unterwandert wegen, wissen Sie, solcher Phobien, die oft durch die Medien aufgebauscht werden. Die Gazprom war, ist und bleibt zuverlässiger Partner europäischer Verbraucher. Und es kann vor allem nichts passieren, was in Zukunft die Gazprom und auch Russland und auch die europäischen Verbraucher, die Europäische Union daran hindern könnte, für einander wichtige Partner auf dem Gasmarkt zu sein. Dies zum einen.

Die Gazprom war, ist und bleibt zuverlässiger Partner europäischer Verbraucher. Und es kann vor allem nichts passieren, was in Zukunft die Gazprom und auch Russland und auch die europäischen Verbraucher, die Europäische Union daran hindern könnte, für einander wichtige Partner auf dem Gasmarkt zu sein.

Und zum anderen das, was russisches Gas betrifft. Russisches Gas, das wissen Sie gut, bleibt unentbehrliches Element des europäischen Gasmarktes. Und nun sehen wir, wie russisches Gas bekämpft wird. Eben russisches Gas. Auf der einen Seite sehen wir Elemente dieses Kampfes. Und auf der anderen Seite sehen wir das Resultat. Das Resultat ist indes sehr einfach. Von Jahr zu Jahr beobachten wir die Vergrößerung des Anteils von russischem Gas am europäischen Markt. Diese Tendenz wird bestehen bleiben. Wenn es um unsere Zuverlässigkeit geht, so ist unsere Zuverlässigkeit bei Gaslieferungen nach der Europäischen Union durch unsere mehr als 40jährigen gemeinsamen Aktivitäten untermauert, und diese Erfahrung ist viel wert. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir alle in unsere Gas-Zukunft mit Optimismus schauen sollten. Wir haben dafür jeden Grund.

Danke für die Aufmerksamkeit.

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