Interview von Alexey Miller mit Der Spiegel
Interview: Armin Mahler und Matthias Schepp, Der Spiegel
„So schlau waren Ihre Lehrer nicht“
Gazprom-Chef Alexey Miller, 48, über die umstrittene Praxis, den Gaspreis an den Ölpreis zu koppeln, über die Wirtschaftlichkeit der Pipelines, die projektiert und gebaut werden, und über sein Image, „der verlängerte Arm des Kreml“ zu sein.
- Herr Miller, vor zweieinhalb Jahren sprachen Sie noch davon, Gazprom zum wertvollsten Unternehmen der Welt machen zu wollen. Stattdessen ist der Börsenwert des Konzerns von 300 Milliarden Dollar auf 130 Milliarden gesunken. Sind die goldenen Zeiten vorbei?
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Allein in den vergangenen sechs Monaten sind unsere Aktien um 35 Prozent gestiegen. Das ist nicht wenig. Die goldenen Zeiten sind also nicht für Gazprom vorbei, sondern für den Finanzkapitalismus, der sich nur auf Papierwerte stützt. Von 1000 Milliarden Dollar Börsenwert haben wir im Frühjahr 2008 gesprochen, vor der Weltfinanzkrise, also nach dem Koordinatensystem dieses Papier-Finanzkapitalismus. Dieses System hat sich diskreditiert.
- Das ist sicher richtig, aber auch Ihr langjähriger deutscher Partner die E.ON scheint nicht mehr an die Zukunft von Gazprom zu glauben. Sie will ihren 3,5-Prozent-Anteil an Ihrem Unternehmen verkaufen.
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Die Unternehmen kaufen oder verkaufen Beteiligungen aus unterschiedlichen Gründen. Auch Gazprom macht das so. Wir tun das aber nicht im Blick auf die Zukunftsfähigkeit dieser Unternehmen.
- Und warum verkauft die E.ON ihre Gazprom-Anteile?
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Wahrscheinlich hat die E.ON für ihre Entscheidung interne Gründe. Die E.ON ist frei, Aktien von Gazprom, dem weltgrößten Gasunternehmen, zu kaufen und zu verkaufen. Wir haben 580 000 Kilometer Pipelines, wir verfügen über 33,6 Billionen Kubikmeter Gasvorkommen und langfristige Lieferverträge für 4,3 Billionen. Der Staat hält die Mehrheit, aber 49 Prozent der Aktien sind frei verfügbar. Jeder, der will, kann 5, 10 oder 20 Prozent dieser Pipelines und Reserven kaufen. Leider gilt das nicht umgekehrt für Gazprom in Europa ...
- ... wo es immer wieder Probleme gibt, wenn Gazprom sich für ein Unternehmen interessiert.
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Vor einiger Zeit tauchten Informationen auf, dass Gazprom angeblich beim britischen Energiekonzern Centrica einsteigen möchte. Was gab es für ein Getöse in der britischen Presse und im britischen Parlament! So was passiert immer wieder.
- Stimmt das Gerücht, dass Sie 49 Prozent an der E.ON-Tochter Ruhrgas übernehmen wollen?
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Wieder ein Gerücht. Und wieder heißt es, das erlauben wir den Russen nicht. So viel zum Thema Offenheit des Markts in Russland oder in Europa.
- Aber was ist wirklich dran an den Gerüchten?
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Ich möchte mich nicht zu bestimmten Unternehmen äußern, sondern über unsere Strategie sprechen.
Bei Zukäufen und Beteiligungen lassen wir uns von einem einfachen Prinzip leiten: Wir positionieren uns als globales Energieunternehmen mit einem integrierten vertikalen Netz von der Exploration und Förderung über Transport, Speicherung, Vermarktung und Verteilung bis zum Endverbraucher.
Das wollen wir auf verschiedenen Kontinenten erreichen. Teil dieses Netzwerks sind E.ON, Ruhrgas, BASF und italienische Partner wie Eni. Beteiligungen sind für uns keine Finanzgeschäfte, sondern Teil unserer Strategie ...
- ... in die Ruhrgas gut passen würde.
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Uns hat niemand einen Vorschlag gemacht.
- Der Markt von Gazprom hat sich grundlegend geändert, Gas gibt es durch neue Erschließungs- und Transporttechniken plötzlich im Überfluss. Kunden wie Ruhrgas könnten sich auf den Spotmärkten billiger eindecken, sind aber aufgrund langfristiger Lieferverträge gezwungen, Gazprom höhere Preise zu zahlen. Hat das Ihr Verhältnis getrübt?
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Im Dezember erreichten die Gaspreise auf den Spotmärkten 350 Dollar. Der Durchschnittspreis des russischen Gases für Deutschland liegt in diesem Jahr bei 308 Dollar. Zudem sprechen wir von unterschiedlichen Produkten, wenn es um Spotmärkte einerseits und um langfristige Lieferverträge andererseits geht. Auf Spotmärkten kann man eben keine Dreijahresverträge kaufen. Für den Verbraucher ist nicht so sehr die absolute Höhe des Preises wichtig, sondern die Stabilität und Nachhaltigkeit.
- Der Preisunterschied betrug zeitweise 50 Prozent, es gab deshalb zähe Verhandlungen mit Ihren Kunden über Preisnachlässe.
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Im Dezember lag er sogar höher als die Gaspreise für langfristige Verträge, die an den Ölpreis gebunden und absolut vorhersehbar sind.
Wir haben unsere Verträge auch eingehalten, als die Preise auf dem Spotmarkt sehr viel höher waren.
- Dennoch verliert E.ON Abnehmer, weil denen die Preise zu hoch sind.
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Wir lieben und respektieren unsere Kunden. Aber es geht ihnen nicht um den Preis für den Endverbraucher, sondern um ihren eigenen Gewinn. Natürlich will keiner, dass die eigene Marge schrumpft. Den Preis für den Verbraucher bestimmt der Markt. Der Gazprom-Anteil ist niemals höher als 50 Prozent. Der Rest setzt sich aus dem Gewinn der lokalen Partner, Transportkosten innerhalb Deutschlands und Steuern zusammen.
- Warum ist der Gaspreis in Ihren Lieferverträgen eigentlich immer noch an den Ölpreis gekoppelt, so dass er auch dann steigt, wenn die Nachfrage gering ist?
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Weil Gas keine klassische Börsenware ist, wie Öl zum Beispiel. Gas wird in der Zukunft weit stärker auch als synthetischer, flüssiger Treibstoff gebraucht werden. Zwei unserer Forschungszentren arbeiten an dieser Technologie. Wenn wir uns den Brennwert von Öl und Gas anschauen, dann ist Gas deutlich preiswerter als Öl.
Nicht nur Gazprom, sondern alle großen Gasproduzenten sagen, dass der Gaspreis sich nach dem Brennwert richten soll.
- Dennoch glauben viele Experten, dass der Gaspreis am Spotmarkt wegen des erhöhten Angebots langfristig niedrig bleiben wird. Wird dann der Bau der vielen neuen Pipelines, die Gas aus dem Osten nach Europa bringen, zur gigantischen Fehlinvestition?
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Wir arbeiten nach einem einfachen Grundsatz. Wir verkaufen erst das Gas, dann fördern und transportieren wir es. Das gesamte Gas für die Ostsee-Pipeline ist schon mit langfristigen Lieferverträgen verkauft.
Die Pipeline ist also zu 100 Prozent gefüllt. Jährlich werden wir 55 Milliarden Kubikmeter Gas liefern.
- Die Kosten der Ostsee-Pipeline lagen ursprünglich bei 4 Milliarden Euro, jetzt ist von 8 Milliarden die Rede. Lohnt sich der Bau noch?
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Seit März 2008 haben sich die Gesamtkosten nicht erhöht. Sie belaufen sich auf 7,4 Milliarden Euro. Das ist eine effiziente Investition. Die Ostsee-Pipeline gehört zur Hälfte Gazprom, zur Hälfte unseren europäischen Partnern. Das ist unsere gemeinsame Pipeline, sie geht nicht durch Transitländer. Das bedeutet, dass wir keine Transporttarife an andere bezahlen müssen. Unser 50-Prozent-Anteil an den Kosten entspricht etwa der Summe, die wir während der Gaskrise mit der Ukraine innerhalb weniger Tage verloren haben.
- Wird das Gas in Deutschland dann billiger?
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Sie wissen doch schon, dass der Gaspreis nicht durch den Bau einer Pipeline bestimmt wird.
- Also wächst nur Ihr Gewinn ...
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... und der unserer Partner. Den Preis bestimmen weder Gazprom noch die europäischen Unternehmen, er wird durch den Ölpreis bestimmt. Die Frage nach der Gerechtigkeit von Gas und Ölpreisen ist deshalb eine Frage nach der Gerechtigkeit des Finanzkapitalismus.
- Die Ölpreisbindung hat nichts mit dem Finanzkapitalismus zu tun. Wenn es mehr Gas gibt als Öl, dann müsste der Preis eigentlich runtergehen.
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Nein. Denn das Gas wird das Öl ersetzen müssen.
- Wir haben gelernt, dass der Preis durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird.
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In der Finanzkrise haben wir vieles erlebt, was keiner je gelernt hat. Die Welt und auch Europa wurden derart durchgerüttelt, dass sie bis heute nicht zu sich kommen können. So schlau waren Ihre Lehrer also nicht.
- Jedenfalls müssen Sie auf der Ölpreisbindung beharren, damit Ihre Investitionen sich rechnen. Warum bauen Sie neben der Ostsee-Pipeline noch für bis zu 24 Milliarden Euro South Stream, eine weitere Ost-West-Pipeline, die 2015 starten soll und Gas durch das Schwarze Meer in das südliche Europa bringt?
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Beide Pipelines liegen völlig auf der Linie unserer Strategie, die im Übrigen derjenigen der Europäischen Union entspricht: nämlich der Diversifizierung des Gastransports.
Nord Stream und South Stream schaffen neue Transportkorridore nach Europa. Bis heute gehen 80 Prozent des russischen Gases über die Ukraine. Es gibt ein schönes russisches Sprichwort: Lege nicht alle Eier in einen Korb.
- Dieses Sprichwort kennen wir in Westeuropa auch. Deshalb unterstützen die Europäer das alternative Pipeline-Projekt Nabucco – auch als Gegengewicht zu Gazprom.
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Wir sind überhaupt nicht gegen Nabucco.
- Aber Sie tun alles, um Nabucco zu torpedieren. South Stream und Nabucco wollen das Gas aus der gleichen Region beziehen, aus Ländern wie Turkmenistan und Aserbaidschan. Es kostet Gazprom mehr, Gas in Aserbaidschan aufzukaufen, als es in Russland zu produzieren. Offenkundig wollen Sie Nabucco von vornherein den Nachschub abschneiden.
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Nein, wir wollen damit die Regionen im Süden Russlands beliefern, die an Aserbaidschan grenzen. Das Gas von der Halbinsel Jamal, also aus dem Norden Russlands, schicken wir gewinnbringender nach Europa und nicht in unseren Süden.
- Für das Nabucco-Konsortium wird es schwer, seine Pipeline zu füllen, wenn Sie ihnen für South Stream das Gas wegkaufen.
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Wie bei der Ostsee-Pipeline verkaufen wir erst das Gas, dann fördern wir es, dann liefern wir es. Mit den jährlich 63 Milliarden Kubikmeter für South Stream machen wir niemandem Konkurrenz. Wir bedienen nur die Nachfrage unserer Abnehmer nach russischem Gas. Wir jedenfalls werden nicht eine Pipeline bauen und erst dann überlegen, was mit solchen Mengen Gas anzufangen ist.
- Schön für South Stream und Gazprom. Nabucco aber ist leer.
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Wenn die Europäer Nabucco wollen, sollen sie es bauen. Wir sind nicht dagegen. Nabucco ist deren Problem.
Unsere Aufgabe ist es, unser Gas vertragsgemäß an unsere Verbraucher zu liefern.
- Stimmt es, dass Sie RWE eine Beteiligung angeboten haben, um den Konzern aus dem Nabucco-Konsortium herauszubrechen?
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Ich habe darüber nie Gespräche geführt. Wenn wir uns aber theoretisch vorstellen, dass ein Teilnehmer von Nabucco auch bei South Stream mitmachen will, ist das für uns in Ordnung. Das österreichische Unternehmen OMV macht bei beiden Pipelines mit. Es gibt auch deutsche Unternehmen, die sich für South Stream interessieren.
- BASF mit deren Gastochter Wintershall vielleicht?
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Kein Kommentar. So viele Unternehmen gibt es ja nicht im deutschen Energiemarkt.
- Werden solche Fragen eigentlich in Ihrer Firmenzentrale oder 14 Kilometer weiter im Kreml entschieden?
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Na wunderbar, ein tolles Klischee für den westlichen Leser. Richtig ist, dass Gazprom ein staatliches Unternehmen ist, bei dem mehr als die Hälfte der Aktien dem Staat gehören. Weil der Staat der Mehrheitseigner ist, bestimmt er die strategischen Ziele: die Diversifizierung unserer Märkte, unserer Transportwege und unserer Produkte. Andere Aufgaben hat uns der Staat nicht gestellt. Gazprom trifft operative Entscheidungen sehr schnell. Dies ist unser großer Vorteil gegenüber der Konkurrenz.
- Gelegentlich werden Sie als zweiter Außenminister Russlands bezeichnet.
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(lacht) Das habe ich noch nicht gehört.
- So nannte man Sie in Armenien. Jedenfalls scheint die Gestaltung Ihrer Preise politischen Vorgaben zu folgen. Befreundete Staaten wie Armenien bekommen russisches Gas zum Vorzugspreis.
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Aber nein! Mit Armenien haben wir vereinbart, dass sie unser Gas in Zukunft zu Marktpreisen beziehen. Bis jetzt haben sie es mit Anteilen an Erdgas und Energieunternehmen gezahlt. Uns gehören deshalb heute mehr als 80 Prozent der Erdgas-Infrastruktur Armeniens: Leitungen, unterirdische Gasspeicher, Fernleitungen, ein Kraftwerk. So ist es auch in Weißrussland. Zudem gibt es ein Staatenbündnis mit Weißrussland, deshalb fällt keine Zollabgabe an, die 30 Prozent des Gasexportpreises ausmacht. Der Staat entscheidet, ob er auf dieses Geld verzichten kann oder nicht. Wenn das Politik ist, dann hat das aber nichts mit Gazprom zu tun.
- Die Ukraine wurde abgestraft, als dort mit Wiktor Juschtschenko ein kremlfeindlicher Präsident saß.
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Wir liefern heute nach der gleichen Preisformel wie unter Präsident Juschtschenko. Der russische Staat aber verzichtet auf die Zahlung der Zollabgabe. Für uns also sind die Gaslieferungen in die Ukraine heute genauso profitabel wie unter Juschtschenko. Die Ukraine ist für uns ein Premium-Markt.
- Verständlicherweise mögen Sie Ihr Image als verlängerter Arm des Kreml nicht. Scheitern an diesem Image Ihre Bemühungen, russisches Gas durch den Einstieg bei Stadtwerken direkt an den deutschen Endverbraucher zu verkaufen?
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Könnten wir direkt Gas an den Endkunden liefern, so müssten die Deutschen jedenfalls weniger bezahlen. Das ist absolut sicher.
- Lohnen sich eigentlich die bis zu 125 Millionen, die Sie innerhalb von fünf Jahren für Schalke 04 ausgeben, um Ihr Image in Deutschland aufzubessern?
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Wir sind der Generalsponsor der Mannschaft. Natürlich haben wir in dieser Saison gemischte Gefühle. Der Club ist in der Champions League sehr, in der Bundesliga wenig erfolgreich. Wir glauben jedoch an Schalke und daran, dass sie schnell wieder nach oben kommen. Schalke ist im deutschen Fußball eine Marke wie Gazprom hier. Sport und Kultur vereinigen Völker. Sie tragen dazu bei, dass wir einander mehr respektieren und vertrauen.

- Herr Miller, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.