Interview von Alexey Miller mit dem TV-Kanal Rossija 24

Stenogramm

Moderatorin: Herr Miller, einen schönen guten Tag. In Ihrem Beitrag auf dem Petersburger Gasforum widmeten Sie dem Thema Gasversteigerungen einen separaten Abschnitt. Die erste Versteigerung hat bereits in Sankt Petersburg stattgefunden, und zwar erfolgreich. Wie ist Ihre Meinung hinsichtlich der Zukunft dieser Versteigerungen?

Alexey Miller, Vorstandsvorsitzender der PАО Gazprom: Dies ist sicherlich eine vielversprechende Richtung, eine neue Richtung unserer Marktaktivitäten. Und dies ist die Antwort der Gazprom auf die aktuellen Vorgänge auf den Gasmärkten Europas. Wir sehen, dass die Preise in langfristigen Verträgen mit Ölpreisbindung steil nach unten gleiten. Die Dynamik dieses Rückgangs ist dabei stärker ausgeprägt als in Verträgen mit anderen Formeln, mit anderen Faktoren. Wir sehen, dass die Preise mit fester Öl-Bindung bereits unter die Spot-Preise gefallen sind. Gazprom hat die Durchführung von Gasversteigerungen beschlossen. Im September fand in Sankt Petersburg die erste russische Gasversteigerung statt. Sie verlief durchaus erfolgreich. Wir verkauften zusätzlich 1,23 Milliarden Kubikmeter Gas mit Lieferung nach Europa in der Zeitspanne vom ersten Oktober 2015 bis 31. März 2016. Dabei verkauften wir diese Mengen zu einem Preis, der über dem durchschnittlichen Vertragspreis für Gaslieferungen auf den europäischen Markt lag. Wir können die Ergebnisse dieser Versteigerung zweifelsohne als erfolgreich bewerten. Wir haben vor, diese Handelsform zu erweitern. Ich betone, dass es sich zunächst einmal um zusätzliche Mengen handelt, obwohl wir auch an jene Mengen denken, für die die Verträge demnächst auslaufen sollen, es gibt auch solche. Die nächste Versteigerung planen wir für Dezember dieses Jahres. Die Lieferzeiten im Versteigerungshandel sollen zunehmen und bis zu einem Jahr betragen. Dies zum einen. Zum anderen wollen wir die Mengen wesentlich vergrößern, 2016 sollen bei Versteigerungen Lose bis sechs Milliarden Kubikmeter Gas angeboten werden. Und wir wollen selbstverständlich auch den geographischen Rahmen unserer Lieferungen ausdehnen.

Moderatorin: Sie wollen also auf diese Weise gleich den Endkunden erreichen, ist das richtig?

Alexey Miller: Das ist in erster Linie unsere Reaktion auf die veränderte Marktsituation. Das ist erstens eine Möglichkeit, zusätzliche Mengen direkt an jene Verbraucher auf dem Markt zu verkaufen, die solche zusätzlichen Mengen benötigen. Dieser zusätzliche Bedarf ist auf dem Markt vorhanden. Es ist besser, wenn sie diese zusätzlichen Mengen direkt von Gazprom beziehen, als wenn sie irgendwo auf dem Markt in Europa umherwandeln und nach diesem zusätzlichen Gas Ausschau halten. Aber ich wiederhole, das sind zusätzliche Mengen unserer direkten Lieferungen, der Gazprom-Lieferungen auf den europäischen Markt.

Und es ist für uns selbstverständlich sehr wichtig, in der gegenwärtigen Situation, da die Preise für Kohlenwasserstoffe sinken, auf eine solche Handelsform zurückgreifen zu können, die uns erlaubt, Preise über dem Vertragsdurchschnitt zu erwirken.

Diese Form des Handels steht in vollem Einklang mit unserer Strategie, die darauf abzielt, den Endkunden zu erreichen. Gazprom setzt die Arbeit in dieser Richtung fort. Am 30. September wurde das Swap-Geschäft mit BASF/Wintershall geschlossen. Wir erwarben Vermögen in der Verteilung und Speicherung von Erdgas. Deswegen bewegt sich die Gazprom weiter auf den Endverbraucher zu.

Moderatorin: Sie erwähnten in Ihrem Beitrag außerdem, Gazprom habe vor, das Bauprojekt des Gasverarbeitungswerks Amur mit der deutschen Firma Linde zu verwirklichen. Ist dies das einzige gemeinsame Vorhaben oder planen Sie, die Zusammenarbeit mit diesem deutschen Unternehmen auch künftighin zu fördern?

Alexey Miller: Was nun die Entscheidung über Zusammenarbeit mit Linde angeht. Dies ist ohne Zweifel das größte Projekt, das sich ein beliebiger Partner von uns hätte vorstellen können, der mit Gazprom würde arbeiten wollen. Die Verarbeitungskapazität des Werkes wird 49 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr ausmachen. Dies wird das größte Gasverarbeitungswerk in Russland und eines der größten in der Welt sein. Deswegen haben wir den Partner für dieses Projekt mit äußerster Sorgfalt gewählt. Linde ist in ihrem Sektor hoch angesehen.

Am wichtigsten ist aber, wie Sie richtig anmerkten, dass, falls dieses Projekt erfolgreich umgesetzt wird, und wir sind sicher, dass es erfolgreich umgesetzt wird, sich auch andere aussichtsreiche Richtungen der Zusammenarbeit, die Möglichkeit eröffnen wird, an anderen Projekten zu arbeiten. Dies sind in erster Linie Projekte im Bereich der Gasverflüssigung. Wir hatten mit Linde über Perspektiven unserer Arbeit in dem Falle gesprochen, wenn wir sie als unseren Partner wählen würden, aber wir hatten strengstens darauf verwiesen, dass diese Zusammenarbeit im Rahmen unserer Lokalisierungsvorgaben, im Rahmen jenes Programms der Importsubstitution stattfinden wird, die Gazprom im Verlauf der letzten Jahre hintereinander umsetzt.

Moderatorin: Ein zentrales Thema Ihres Beitrags war der Bau der TurkStream Pipeline. Was war der Grund für die Entscheidung, deren Kapazität auf 32 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr zu reduzieren?

Alexey Miller: Diese Entscheidung liegt an den Absprachen mit unseren europäischen Partnern über den Bau der Gasleitung Nord Stream 2. Anfang September wurden verbindliche Dokumente zu dieser Pipeline unterschrieben. Die Jahresleistung der Pipeline wird 55 Milliarden Kubikmeter Gas betragen. Demnach wird sich die gesamte Kapazität von Nord Stream I und Nord Stream 2 auf 110 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr belaufen. Aus diesem Grund haben wir den gesamten Gasbedarf des europäischen Marktes überprüft, die Ströme analysiert und erkannt, dass momentan keine Notwendigkeit besteht, in südlicher Richtung Gastransportkapazitäten für mehr als 32 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu schaffen. Das sind zwei Stränge.

Momentan liegt der für die türkischen Partner vorbereitete Wortlaut eines Regierungsabkommens vor, der den Bau eines Strangs und die Fortführung von Verhandlungen zum zweiten Strang vorsieht. Wir hoffen, dass die Verhandlungen zum Regierungsabkommen über den Bau von TurkStream auf dem Boden des Schwarzen Meeres in gegenständliche Phase treten werden.

Moderatorin: Sie haben schon den Bau von Nord Stream 2 erwähnt und Sie haben in ihrem Beitrag bemerkt, dass die Projekte Nord Stream I und Nord Stream 2 identisch sein werden. Was sind also die Ähnlichkeiten und die Unterschiede?

Alexey Miller: Nord Stream 2 wird mit demselben Projekt realisiert. Die Aktionäre haben entschieden, den Spruch „Das Bessere ist des Guten Feind“ gelten zu lassen. Nord Stream I hat sich als zuverlässiges Projekt bewährt, als ein Projekt, das im Einklang mit den höchsten Umweltauflagen realisiert wurde, womit alle Experten einverstanden sind. In der Betriebsphase findet kontinuierliche Umweltüberwachung statt: Von einer riesigen Anzahl von Gebern gehen im Echtzeit-Modus Daten ein. Nord Stream I wurde unter strengster ökologischer Kontrolle gebaut.

Das Wichtigste ist die Erkenntnis, dass man mit einem zuverlässigen Projekt schlicht und einfach Zeit sparen kann, wenn man es nachgestaltet. Deswegen soll für Planung keine zusätzliche Zeit eingesetzt werden, und alle technischen und technologischen Lösungen, die im Nord Stream I zur Anwendung kamen, werden in Nord Stream 2 wiederholt. Das werden gleichfalls zwei Stränge sein; die gesamte Kapazität dieser zwei Stränge wird, ebenso wie beim Nord Stream I, 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr ausmachen.

Der einzige Unterschied besteht darin, dass sich die Ein- und die Austrittspunkte an der Ostsee unterscheiden werden. Der Eintrittspunkt von Nord Stream I liegt an der Nordküste des Finnischen Meerbusens unweit von Wyborg, das ist die Verdichterstation Portowaja. Der Eintrittspunkt von Nord Stream 2 liegt im Raum von Ust-Luga, das ist die Südküste des Finnischen Meerbusens.

Diese Entscheidung geht darauf zurück, dass wir auf diese Weise Fragen der Gasversorgung und Gasifizierung von Subjekten der Russischen Föderation lösen, und zwar unter anderem des Verwaltungsgebiets Leningrad. Die Fernleitung wird von der Verdichterstation Wolchowskaja im Verwaltungsgebiet Leningrad durch den Süden dieses Gebiets und weiter in Richtung Ust-Luga verlaufen. Dadurch lassen sich zusätzliche Möglichkeiten zum Aufbau gasintensiver Produktionskapazitäten erschließen. Wir wissen, dass ein derartiges Interesse, ein derartiger Bedarf auf Seiten von Geschäftsleuten, auf Seiten von Unternehmen im Bereich der Gaschemie und der Mineraldünger-Erzeugung existiert. Und selbstverständlich ist dies Gasifizierung, Gasifizierung auf dem Lande. Deswegen berücksichtigten wir bei der Festlegung der Eintrittsstelle an der Ostseeküste die Belange der russischen Wirtschaft, die Belange der sozialökonomischen Entwicklung der Regionen.

Ebenso kommen neue Kapazitäten von Bowanenkowo hinzu: Dies ist die Pipeline Bowanenkowo – Uchta-2, die Strecke Uchta – Torschok-2 und die Leitung Potschinki – Grjasowez. Und dies ist insgesamt die Erweiterung des Einheitlichen Gasversorgungssystems in diesem nördlichen Korridor. Aber ebenso wie die Nord Stream 2 Pipeline werden diese neuen Gastransportkapazizäten in Russland innerhalb der erforderlichen Fristen gebaut werden, also bis Ende 2019.

Moderatorin: Herr Miller, ich kann nicht umhin, die russischen Gaslieferungen in die Ukraine anzusprechen. Wann ist die Bezahlung dieser Lieferungen möglich und wird Russland die angekündigten Gasmengen trotzdem liefern, wenn keine Zahlungen kommen?

Alexey Miller: Gas wird in die Ukraine strikt gegen Vorkasse geliefert werden. Gegenwärtig sind auf dem Escrow-Konto, dem Spezialkonto 500 Millionen US-Dollar für Gaseinkauf von der Gazprom, von Russland im 4. Quartal akkumuliert.

Vorerst haben wir leider keine Vorauszahlung für Gaslieferungen erhalten, obwohl unsererseits absolut alle erschöpfenden juristischen Unterlagen vorbereitet und unterschrieben wurden. Wir haben für die Zeit bis 31. März 2016 auf die „Take or Pay“- Regelung verzichtet. Wir gewährten der Ukraine die Möglichkeit, bei extrem niedrigen Temperaturen, bei Abkühlungen bis zu 114 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag zu entnehmen. Das entspricht der maximalen Jahresmenge von 52 Milliarden Kubikmetern, die in unserem Vertrag festgeschrieben ist.

Wir haben also einerseits auf den „Take or Pay“-Modus verzichtet und andererseits für sie die Möglichkeit beibehalten, maximale Tagesmengen zu beanspruchen, die an das vertragliche Jahresmaximum gebunden sind. Für die Ukraine ist dies eine zusätzliche Möglichkeit, die Herbst-/Winterspitzen und Perioden extrem tiefer Temperaturen zu bewältigen, jedoch, ich unterstreiche es, selbstverständlich nur, wenn die Ukraine unser Gas bezahlt, wenn sie Vorauszahlungen leistet.

Das dreiseitige Abkommen, das Ende September in Brüssel unterschrieben wurde, beantwortet nicht vollständig alle Fragen, wie die Ukraine nun die Gaslieferungen im Winter bezahlen soll. In diesem Abkommen geht es nämlich um lediglich 500 Millionen Dollar, das sind beim aktuellen Preisniveau etwa zwei Milliarden Kubikmeter Gas. Dabei sollen diese zwei Milliarden Kubikmeter jetzt binnen kürzester Frist in die Untertagespeicher eingepumpt werden. Eine Antwort darauf, wie die Ukraine das Gas aus direkten Lieferungen zur Abdeckung ihres Winterbedarfs bezahlen soll, liefert dieses Protokoll nicht. Damit ist die Frage der Finanzierung ukrainischer Gaseinkäufe gegen Vorkasse doch offen geblieben, obwohl klar ist, dass die Absichten und Bestrebungen der Parteien in diesem Protokoll dargestellt sind.

Moderatorin: Herr Miller, vielen Dank dafür, dass Sie die Zeit für ein Gespräch mit uns gefunden haben.