Rede von Alexey Miller auf der Konferenz „Erdgas als Zielbrennstoff der Zukunft“ im Rahmen des jährlichen International Business Congress
Wien
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
es ist angenehm zu sehen, dass sich heute zum Kongress nicht nur Vertreterinnen und Vertreter der Energiebranche, sondern auch Entscheidungsträgerinnen und –träger von Investitionsgesellschaften, Banken und technologischen Konzernen eingefunden haben. Das heißt all jene Kräfte, die heute die Weltwirtschaft vorantreiben. Laut Prognosen internationaler Wirtschaftsunternehmen wird nach langen Jahren relativ geringer Wachstumsraten in den nächsten Jahren eine Beschleunigung der weltweiten Wirtschaftsentwicklung in Aussicht gestellt.
Unter diesen Verhältnissen legt die Nachfrage nach Energieressourcen zu. Für Verbraucher sind heute äußerst vielfältige Energiequellen verfügbar: Erdöl, Kohle, Atomenergie, Erdgas sowie erneuerbare Energiequellen.
Bei der Auswahl des Zielbrennstoffs für die Aufstellung einer Entwicklungsstrategie der Energiewirtschaft werden heute Energieressourcen vor allem nach deren Energieeffizienz, Vorratsmengen, Versorgungszuverlässigkeit, Verfügbarkeit und natürlich nach dem Grad ihrer Umwelteinwirkungen bewertet. In vielen Ländern und insbesondere in Europa wird immer mehr Aufmerksamkeit den Möglichkeiten der „grünen“ Energie geschenkt. So eine Lösung ermöglicht es auf den ersten Blick wirklich, Einwirkungen auf die Natur zu minimieren. Allerdings hat sie einen schwerwiegenden Nachteil – eine unzuverlässige Versorgung. Unter gewissen Witterungsverhältnissen kann es zu überschüssiger Energie kommen, unter anderen Verhältnissen kann sie ganz und gar ausfallen. Indessen sind Speicherung und Übertragung von Energie, die aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird, aus technologischer Sicht kompliziert und äußerst kostenaufwendig.
Hier, in der wunderschönen Alpenrepublik Österreich, konnte man im vergangenen kalten Winter – wie uns heute Herr Schelling, Österreichs Finanzminister, sagte – zuallerletzt darüber nachdenken, inwieweit der Strom „grün“ ist. Wesentlich akuter war die Frage nach der zuverlässigen Gewährleistung von dessen Lieferungen. Laut Berechnungen des Fachverbandes der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmungen Österreichs muss der Anteil des aus Gas erzeugten Stroms für eine zuverlässige Gasversorgung des Landes an manchen kalten Wintertagen über 40 Prozent liegen. Dabei sei erwähnt, dass in Österreich auf die Stromerzeugung aus Gas noch nicht einmal 10 Prozent entfallen.
Es ist offensichtlich, dass eine reibungslose Versorgung eine maßgebliche Rolle zum Beispiel im Produktions- und Wohnsektor spielt. Darüber hinaus ist erneuerbare Energie im Moment recht kostspielig. Für die Entwicklung dieses Geschäftsfeldes werden erhebliche Zuschüsse aus dem Staatshaushalt gezahlt, die im Endergebnis eine zusätzliche Belastung für die Steuerzahler nach sich ziehen. Allein 2016 finanzierte die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland die erneuerbare Energie in einem Wert von mehr als 20 Milliarden Euro. Kennzeichnend ist, dass die Stromrechnungen des Endverbrauchers heute in Deutschland zu 66 Prozent aus verschiedenen Abgaben und Steuern bestehen. Neuesten Meinungsumfragen zufolge halten die meisten Einwohner Deutschlands die Kosten für die sogenannte Energiewende für übertrieben. Eine weitere Intensivierung der Errichtung von Kapazitäten erneuerbarer Energiequellen wird nur eine Steigerung der finanziellen Aufwendungen erfordern. Außerdem wird der Bau von Stromfernleitungen von Offshore-Windkraftparks im Norden Europas nach Südeuropa neben milliardenschweren Investitionen auch noch einen erheblichen Zeitaufwand abverlangen.
Wir haben keinerlei Zweifel, dass gerade Erdgas allen Anforderungen gerecht wird, welche die heutige Wirtschaft an Energieträger stellt. Dafür sprechen kolossale Vorräte sowie außerordentliche Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit. Dafür sprechen eine beachtliche Marktentwicklung und bewährte Handelsmodelle in aller Welt. Darüber hinaus stellt Gas einen überaus reinen fossilen Brennstoff dar.
Ein weiterer Faktor, der die Entwicklung der Gasindustrie stimuliert, ist der globale Charakter von Erdgas. Denn Energie aus Wasserkraftwerken, Solar- und Windkraftanlagen kann nicht ohne erhebliche Verluste über mehrere tausend Kilometer übertragen werden. Es ist äußerst schwierig, sie über Fernleitungen über Meere zu übertragen. Für Erdgas besteht hingegen die wirtschaftlichste Form von Energieübertragung und Speicherung gegenüber anderen Energieträgern. Gas wird seit Jahrzehnten erfolgreich durch Hochseepipelines gepumpt und in verflüssigtem Zustand von Kontinent zu Kontinent transportiert. Als Stütze für das auf Erdgas beruhende Energiesystem dienen die im Laufe von Jahrzehnten errichteten, mehrere tausend Kilometer langen Ferngasleitungen sowie Verflüssigungs- und Regasifizierungsterminals, ein gut entwickeltes Netz von Untertagespeichern und Gaskraftwerke. Ein Gasverbraucher von Gazprom, der bei uns die Ausspeicherung beantragt, kann sich grundsätzlich darauf verlassen, dass dieses Gas pünktlich und in streng vereinbarten Mengen am Entnahmepunkt eintrifft. Wenn die Weltwirtschaft Gas verwendet, verfügt sie über eine absolut eigenständige zuverlässige Lieferkette für den Energieträger von der Lagerstätte bis zum Endverbraucher.
Kein Wunder, dass der Gasverbrauch unter diesen Voraussetzungen weltweit zunimmt. So erreichten die Gasliefermengen von Gazprom an den europäischen Markt 2016 eine Rekordzahl von 179,3 Milliarden Kubikmetern. Im ersten Halbjahr 2017 beobachten wir weiterhin, dass die Nachfrage nach russischem Gas in Europa mit wachsendem Tempo steigt. Seit Jahresbeginn haben wir die Liefermengen gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2016 bereits um 13,2 Prozent aufgestockt, was einer Menge von 9 Milliarden Kubikmetern Gas entspricht. Dies übertrifft den jährlichen Gasverbrauch in der Republik Österreich.
Zum zunehmenden europäischen Gasverbrauch trägt vielfach bei, dass in der Elektroenergie auf den „blauen Brennstoff“ erneut zurückgegriffen und dass umweltschädigende Kohle durch Gas ersetzt wird. Ein prägnantes Beispiel dafür ist Großbritannien. 2016 schrumpfte dort der Anteil der Stromerzeugung aus Kohle von 23 Prozent auf 9 Prozent, und dies nur innerhalb eines Jahres. Unter anderem war dies der eingeführten Emissionssteuer zu verdanken. Laut britischem Regierungsplan wird 2025 das letzte Kohlekraftwerk im Land stillgelegt. Mitglieder der Union der Elektrizitätswirtschaft (Eurelectric) aus 26 EU-Ländern haben sich verpflichtet, nach 2020 keine neuen Kapazitäten von Kohlekraftwerken in Betrieb zu nehmen. All dies bietet zweifellos erhebliche Perspektiven für die Gasbranche.
Ihre nachhaltige Entwicklung ist jedoch nicht nur durch den Verzicht auf konkurrierende Energieträger für die Stromerzeugung bedingt. Die Gasindustrie erschließt weiterhin neue Marktlücken. Erhebliche Perspektiven bietet der Einsatz von Erdgas als Kraftstoff. Zu den maßgeblichen Vorteilen eines Gasmotors gehört dessen Umweltfreundlichkeit. Gastechnologien ermöglichen es heute, das Niveau der СО2-Emissionen im Verkehr gegenüber den herkömmlichen Brennstoffarten um 25 Prozent zu senken. Dabei kann Erdgas sowohl im Straßen- als auch im Seeverkehr eingesetzt werden, wodurch nicht nur Schadstoffemissionen als auch Brennstoffkosten zurückgefahren werden können.
Der aktive Einsatz einer derartig effizienten Lösung in Bezug auf Kraftstoff stellt eine aktuelle Aufgabe dar sowohl für Lieferanten von Energieträgern als auch für Hersteller von Verkehrsmitteln und Unternehmen, die sich mit der Errichtung der Infrastruktur befassen, welche bereits intensiv ausgebaut wird. Heute liegen zum Beispiel in Deutschland Pläne vor, nach denen sich die Anzahl von Gastankstellen in den nächsten 2 bis 3 Jahren verdoppeln soll. Erdgas hat auch gute Perspektiven als Brennstoff für die Bunkerung. Heute werden unter der Schirmherrschaft der Europäischen Union mehrere Projekte zur Betankung von Fluss- und Hochseeschiffen mit LNG umgesetzt. Gazprom implementiert als Lieferant Projekte zu kleintonnagigen LNG-Lieferungen in der Ostseeregion.
Erdgas ist auch eine hochtechnologische Brennstoffart. Die Gaschemie entwickelt sich stürmisch, neue einzigartige Lösungen für Förderung und Transporte entstehen. All dies treibt die Entwicklung verwandter Industriezweige voran, wirkt sich spürbar auf die Steigerung des BIP, die Entstehung von Arbeitsplätzen und die Entwicklung der wissenschaftlichen Basis aus.
Aus technologischer und ökologischer Sicht hat Gas alle Voraussetzungen, um in Zukunft zum Zielbrennstoff in Europa und in aller Welt zu avancieren. Unsere Aufgabe besteht darin, gemeinsam Probleme zu bewältigen, die außerhalb der Geschäftsstrategie liegen. Trotz offensichtlicher Vorteile von Erdgas und der Möglichkeiten, die dessen Einsatz praktisch in allen Branchen der Volkswirtschaft bietet, bestehen gewisse Schwierigkeiten unter dem Gesichtspunkt der Positionierung von Gas gegenüber politischen Kreisen und Regulierungsbehörden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
die Wirtschaft hat bereits ihre Wahl zugunsten von Gas getroffen. Es liegt in unseren Kräften, nun auch den Regierungen einzelner Länder zu beweisen, dass Erdgas die Grundlage für den Aufbau der zukünftigen Energiewirtschaft bilden kann und muss. Dazu muss die gesamte Gasindustrie nicht nur eine einmütige Antwort vorbereiten und Lösungen für Probleme, denen die Branche ausgesetzt ist, bieten, sondern auch diese Lösungen Staatsmännern, Wirtschaftsträgern und der Öffentlichkeit vorlegen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Erdgas bietet uns allen eine einzigartige Möglichkeit für eine zuverlässige, nachhaltige, effiziente und umweltfreundliche Wirtschaftsentwicklung. Erdgas ist der Brennstoff des 21. Jahrhunderts!