Rede von Alexey Miller bei der Plenartagung „Rolle und Platz von Gas im Energiemix der Weltwirtschaft“ des Petersburger Internationalen Gasforums
Sankt Petersburg
Wenn wir darüber sprechen, was für eine Zukunft das Erdgas erwartet, so lassen Sie uns vielleicht erst einmal einen zeitlichen Rahmen setzen. Wir werden von einem Zeitraum bis 2025 sprechen. In erster Linie würde ich jene Prognosen stellen, die wir bei Gazprom haben und die insgesamt die weltweite Nachfrage nach Gas betreffen. Natürlich würde ich auch auf unsere Vision des europäischen Gasmarktes, der für Gazprom der Exportmarkt Nummer eins ist, und natürlich auf den asiatischen, in erster Linie auf den chinesischen Markt eingehen.
Wenn wir über die internationale Nachfrage sprechen, so sind wir uns absolut dessen gewiss, dass in den nächsten fünf Jahren der Gasmarkt, das Gasgeschäft und der Gassektor stetig wachsen werden. Das ist die erste These.
Die zweite These ist: Dieses Wachstum ist durch andere Energieressourcen nicht gefährdet. Bis 2025 prognostiziert Gazprom eine Zunahme der weltweiten Nachfrage nach Gas um 17 Prozent oder um 635 Milliarden Kubikmeter. Auch hier muss betont werden, dass China mit rund 30 Prozent den Hauptbeitrag zu dieser weltweiten Nachfrage leisten wird. Die chinesische Nachfrage wird im Vergleich zu 2017 (die Zahlen, die genannt wurden, basieren nämlich auf dem Jahr 2017 als Ausgangspunkt) bis 2025 unseren Schätzungen zufolge um 80 Prozent, das heißt fast um 200 Milliarden Kubikmeter Gas steigen. Wir reden von 195 Milliarden Kubikmetern, meinen jedoch, dass diese Zahl höher ausfallen kann.
Der entscheidende Markt für Gazprom ist aber zweifelsfrei Europa. Seit 50 Jahren ist dies der Markt Nummer eins für uns. In diesem Jahr, einem Jubiläumsjahr, haben wir den 50. Jahrestag der Aufnahme russischer Gaslieferungen für den europäischen Markt begangen. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist ein Vertrag mit der OMV. Das ist unser erster Vertrag zu Gaslieferungen für den westeuropäischen Markt. Österreich begann als erstes Land unser Gas zu kaufen. Und wir haben bereits 50 Jahre einer zuverlässigen und gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit und Partnerschaft.
Was uns ohne Zweifel erfreut, das ist die Zunahme der Nachfrage nach russischem Gas in den letzten Jahren. Sie wissen, dass 2017 der Umfang von Gaslieferungen für den europäischen Markt 194,4 Milliarden Kubikmeter ausmachte. Dies sind Gazprom-Mengen. Das bedeutet ein Wachstum von 8,4 Prozent gegenüber 2016. Heute haben wir einen Zuwachs von sechs Prozent, aber bereits im Vergleich zu der weitaus höheren absoluten Basis des vorangegangenen Rekordjahres. Das zeugt davon, dass Gazprom laut Jahresergebnissen 2018 einen neuen Rekord hinsichtlich Gaslieferungen für den europäischen Markt aufstellen wird.
Hier muss man aber einige Momente hervorheben. Der erste Moment besteht darin, dass die absoluten Liefermengen über 200 Milliarden Kubikmeter Gas ausmachen werden. Was bedeutet das? Dies bedeutet, dass wir dicht an die Zahl 205 Milliarden Kubikmeter Gas für Exportlieferungen nach Europa herankommen und sie möglicherweise gar erreichen werden. Das entspricht insgesamt den maximalen, vertraglich vereinbarten Mengen hinsichtlich all unserer Lieferverträge für den europäischen Markt. Insgesamt wird ein 100-prozentiges Ergebnis unserer Verpflichtungen erreicht werden, die wir gegenüber unseren Partnern haben.
Und zweifelsohne fixieren wir, dass dies ein neues Koordinatensystem ist. Das ist eine Situation, die man gedanklich verarbeiten muss. Andererseits sehen wir, dass die Nachfrage nach russischem Erdgas auch weiterhin zunehmen wird. Insbesondere sehen wir dies im Rahmen jener Verhandlungen, die wir beispielsweise mit der OMV am Rande des Forums hatten. Wir sehen, dass unsere traditionellen Partner – das betrifft nicht nur die OMV – die Absicht bekunden, bei uns noch größere Gasmengen zu kaufen. Dabei muss man verstehen, dass diese Zahlen sehr signifikant sind.
Daher fixieren wir gemeinsam: Dieses neue Koordinatensystem belegt, dass sich heute auf dem Gasmarkt ein Verkäufermarkt herausgebildet. Und dies ist eine neue Situation. Das ist nicht jene Situation, die es noch vor zehn, vor fünf Jahren gegeben hat. Dies zum einen.
Zum zweiten geht es um die Frage hinsichtlich dessen, wie einige Transportkorridore für Gasexporte gefragt sind. Unter anderem der Exportkorridor durch die Ostsee, die Gaspipeline Nord Stream. In den letzten zwölf Monaten lag die Auslastung der Nord Stream bei sieben Prozent über der geplanten Sollleistung. Es sei daran erinnert, dass die Sollleistung der Gaspipeline 55 Milliarden Kubikmeter beträgt. Die technologischen Möglichkeiten erlauben aber, etwas mehr zu exportieren. Und innerhalb von zwölf Monaten haben wir durch die Nord Stream 59 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa geliefert. Das heißt, dass die Nord Stream als Transportkorridor für Gasexporte aus Russland sogar mehr als zu 100 Prozent gefragt ist. Das ist die Antwort auf die Frage, ob die Nord Stream 2 gebraucht wird? Die Auslastung der vorhandenen Kapazitäten übertrifft die Sollleistung.
Hier muss man natürlich auch hervorheben, dass heute bereits die Bauarbeiten an der Gaspipeline Nord Stream 2 laufen. Das zum ersten. Und zweitens: Wir bewegen uns im Rahmen jenes kalendarischen Zeitplans, der von den Beteiligten an diesem Vorhaben von Anfang an verabschiedet worden war. Wir arbeiten strikt in jenen Zeiträumen, die wir ursprünglich bestimmt haben. Zweifellos gibt es noch einzelne Fragen zu diesem Projekt. Aber der vorliegende Arbeitsplan zeugt davon, dass wir ab dem 1. Januar 2020 absolut sicher mit Gaslieferungen durch die Nord Stream 2 beginnen können.
Hinsichtlich der Nord Stream 2 diskutieren wir recht viel, obgleich das Projekt realisiert wird und alles sozusagen seinen Gang geht. Ich würde aber gern betonen, dass der Bau der Gaspipeline TurkStream – hier geht es bereits um einen neuen Exportkorridor im Süden – nicht einfach laut Zeitplan, sondern mit einem zeitlichen Vorsprung realisiert wird. In buchstäblich zwei Monaten werden wir den Bau des Offshore-Teils der Gaspipeline TurkStream abschließen. Gebaut werden der erste und der zweite Strang. Somit werden Gastransportkapazitäten via Schwarzes Meer für Gaslieferungen nach Europa geschaffen.
Wenn wir über den europäischen Markt sprechen, so sprechen wir natürlich zweifelsohne über jene Vorräte, über die Gazprom, über die Russland verfügt. Ich erinnere daran, dass sich die förderbaren Vorräte von Gazprom auf 35 Billionen Kubikmeter Gas belaufen. Wir müssen hier noch einmal betonen, dass es im 21. Jahrhundert keinerlei Fragen hinsichtlich unserer Vorräte aus der Sicht einer vollständigen Befriedigung der Nachfrage seitens der russischen Verbraucher und seitens der europäischen Verbraucher geben wird. Wir können jeglichen Bedarf sowohl auf dem Binnenmarkt als auch auf dem europäischen Markt und auf dem asiatischen Markt decken. Dabei reden wir hier natürlich auch in erster Linie über Pipelinelieferungen. Auf dem europäischen Markt spielt Pipelinegas eine Schlüsselrolle in der Gasbilanz und im Energiemix.
Wenn man über Gasimporte spricht, so kommt LNG gegenwärtig laut Bilanz der ersten acht Monate 2018 alles in allem nur auf zwölf Prozent. Alles Übrige sind Lieferungen durch Pipelines. Dabei muss man natürlich auch, wenn es um Lieferungen von verflüssigtem Erdgas für den europäischen Markt geht, den Rückgang von LNG-Liefermengen für den europäischen Markt in den ersten acht Monaten dieses Jahres um 4,5 Milliarden Kubikmeter feststellen.
Grund dafür ist natürlich der asiatische Markt. Ungeachtet dessen, dass die Gaspreise in Europa seit dem 1. Januar 2018 bis zum heutigen Tage um fast 20 Prozent gestiegen sind, ist der LNG-Preis dennoch höher. Das Allerwichtigste ist, dass die LNG-Preise auf dem asiatischen Markt die Preise auf dem europäischen Markt um ein Drittel übertreffen. Im Endergebnis strömt verflüssigtes Erdgas weiterhin vom europäischen auf den asiatischen Markt. Diesen Trend fixieren wir gemeinsam bereits seit mehreren Jahren. Experten bedienen sich seit einiger Zeit so eines bildlichen Ausdrucks, wonach Europa die „letzte Zufluchtsstätte“ für LNG sei.
Zweifellos wird viel über neue Pläne für Lieferungen von verflüssigtem Erdgas gesprochen. Es ist aber absolut sicher, dass Pipelinegaslieferungen aus Russland stets konkurrenzfähiger als Lieferungen von verflüssigtem Erdgas aus anderen Regionen der Welt sein werden. Dies löst keinerlei Zweifel aus.
Sicherlich muss man einige Worte darüber verlieren, warum wir eine zunehmende Nachfrage nach russischem Gas auf dem europäischen Markt beobachten. Da haben wir natürlich in erster Linie rückläufige Fördermengen unmittelbar in Europa. Hierbei würde ich insbesondere das bekannte Gasfeld von Groningen in den Niederlanden nennen, wo in den letzten fünf Jahren die Fördermengen bereits um 23 Milliarden Kubikmeter Gas zurückgegangen sind. Sie werden offensichtlich weiterhin schrumpfen.
Zu weiteren Faktoren gehören natürlich Programme für einen Ausstieg aus der Kohle, die in einer Reihe von Ländern verabschiedet worden sind. Hier muss man das Programm bis 2022 in Frankreich und das Programm Großbritanniens für den Zeitraum bis 2025 hervorheben. In Frankreich, wo bekanntlich der Anteil der Kernenergie traditionell einen großen Prozentsatz ausmacht, wird sich der Anteil der Stromerzeugung in AKW bis 2025 von 70 auf 50 Prozent verringern. Diese Faktoren sind systembedingt und belegen, ich unterstreiche dies noch einmal, dass die zunehmende Nachfrage nach russischem Gas fundamentalen Charakter trägt. Daher prognostizieren wir eine weitere Steigerung unserer Exportlieferungen.
Wenn man über den asiatischen Markt spricht, so muss man natürlich in erster Linie auch betonen, dass die zunehmende Nachfrage hier vorerst durch LNG-Lieferungen gedeckt wird. Was die Steigerung der Lieferungen von verflüssigtem Erdgas insgesamt für den Weltmarkt angeht, so ist es gerade der asiatische Markt, der diese Nachfrage nach verflüssigtem Erdgas erzeugt.
Hier aber muss man sicherlich in erster Linie auf China schauen, das das höchste Tempo bei der Zunahme des Gasverbrauchs demonstriert. Wir wissen, dass im vergangenen Jahr die Nachfrage nach Gas in China um 15,3 Prozent und seit Jahresbeginn bis zum heutigen Tag um 17,5 Prozent gestiegen ist. Diese Zahlen beeindrucken, und zwar sehr stark. Dies zum ersten.
Und zweitens: Wenn wir davon reden, dass die Lieferungen durch Pipelines eine sehr wichtige Rolle bei der Zuverlässigkeit und Stabilität des Gasverbrauchs spielen, so wird sich der Anteil von Pipelinegas zweifelsohne vergrößern. China ist ein Land, wo im Norden und Nordosten ein kontinentales Klima herrscht. In der Herbst- und Winterzeit nimmt der Bedarf seitens der Verbraucher zu, und zwar erheblich.
Hier möchte ich gleich betonen, dass gerade Gaslieferungen durch Pipelines und nicht Lieferungen von verflüssigtem Erdgas es erlauben, faktisch innerhalb weniger Minuten diesen Spitzenbedarf auszugleichen. Natürlich sind Versuche, dies anhand von verflüssigtem Erdgas zu bewerkstelligen, weniger effektiv. Dies zum ersten. Und zweitens: Sie sind weitaus teurer. Daher wird auf dem chinesischen Markt der Import von Pipelinegas absolut objektiv ansteigen.
Hier muss man ein Projekt für russische Gaspipelinelieferungen für den chinesischen Markt hervorheben, das bereits realisiert wird. Und es muss auch gesagt werden, dass wir natürlich neue Routen evaluieren. In erster Linie aber, wenn wir über das Projekt sprechen, das verwirklicht und ebenfalls mit einem zeitlichen Vorsprung umgesetzt wird, ist dies die Gaspipeline Power of Siberia. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist das Projekt bereits zu 94 Prozent seitens Gazprom, seitens Russlands fertiggestellt. Und es bestehen keinerlei Zweifel, dass am 20. Dezember 2019 die ersten Lieferungen von russischem Pipelinegas für den chinesischen Markt aufgenommen werden.
Aber wir diskutieren mit unseren chinesischen Partnern, mit unseren chinesischen Freunden natürlich auch neue Gastransportrouten. In erster Linie würde ich gern hervorheben, dass sich buchstäblich in der letzten Zeit die Verhandlungen zur Westroute aktiviert haben. Demnächst haben wir eine Reihe neuer Treffen geplant und hoffen, endgültige Vereinbarungen zu erreichen. Es sei daran erinnert, dass wir die Grundkonditionen des neuen Vertrags zur Westroute mit unseren Partnern von der CNPC bereits unterzeichnet haben. Da bleibt lediglich eine Frage offen, und zwar nach dem Preis.
Die Frage nach den Spitzenlastzeiten im Winter kann aber für den chinesischen Markt noch schneller geklärt werden. Man muss verstehen, dass jene Lieferanten von Pipelinegas, die China derzeit hat, leider keine solche Möglichkeit haben, um Flexibilität zu gewährleisten und auf saisonbedingte Schwankungen zu reagieren. Ich möchte hervorheben: Unter Berücksichtigung jener Kompetenzen, die Gazprom hat, unter Berücksichtigung unserer Erfahrungen und – was das Wichtigste ist – unter Berücksichtigung der bereits errichteten Gastransportinfrastruktur im Rahmen des Pipelineprojekts Power of Siberia ist eine Aufstockung der Liefermengen über die vertraglichen Mengen hinsichtlich der Pipeline Power of Siberia hinaus zweifellos ein sehr schneller Weg. So eine Möglichkeit wird gegenwärtig diskutiert.
Unter den neuen Gastransportrouten nach China muss man auch unbedingt mögliche Lieferungen aus dem Fernen Osten der Russischen Föderation erwähnen. Dies ist eine weitere neue Exportroute.
Was den chinesischen Markt angeht, so muss hervorgehoben werden, auf welche Art und Weise und in welchem Umfang der Import nach China wächst. Während die Förderung in China im vergangenen Jahr um 8,5 Prozent zugenommen hat, ist der gesamte Import von LNG und Pipelinegas um 27 Prozent gestiegen. Wir prognostizieren allein für dieses Jahr, dass die Importmengen Chinas in diesem Jahr insgesamt auf 120 Milliarden Kubikmeter Gas steigen werden. Das ist schlechthin eine kolossale Zahl. In China bestehen ein gewaltiges Potenzial und riesige Möglichkeiten.
Abschließend möchte ich gern die neuen Vereinbarungen zu einem Projekt hervorheben, das wir gemeinsam mit Wintershall realisieren. Gestern hat sich die OMV diesem Projekt angeschlossen. Das ist ein wirklich sehr wichtiges, ein zeichensetzendes Vorhaben. Warum? Weil dies ein Projekt ist, das strategischen Charakter trägt, wenn man bedenkt, dass dies ein Kooperationsprojekt unserer Partnerunternehmen auf dem europäischen Markt – der Wintershall und der OMV – hinsichtlich der gesamten Wertschöpfungskette im Gasgeschäft ist: Förderung, Transport, Untertagespeicherung und Vermarktung von Gas.
Die OMV wird sich am Projekt zur Förderung aus der Achimov-Formation der Blöcke 4A und 5A der Lagerstätte Urengoiskoje beteiligen. Wir werden uns zusammen an der Umsetzung des großen Gastransportprojektes Nord Stream 2 beteiligen. Wir arbeiten und erörtern aber auch zusammen neue Perspektiven für eine gemeinsame Tätigkeit auf dem Gebiet der unterirdischen Gasspeicherung in Europa. Außerdem ist die OMV natürlich ein ausgezeichneter und effizienter Trader von russischem Erdgas auf dem europäischen Markt. So verteilen die Unternehmen schlechthin die Risiken entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Gasgeschäft. Dies ist zweifellos ein weitaus vollkommeneres Arbeitsschema aus der Sicht des Vertrauens zwischen den Partnern. Das ist nicht bloß ein Kaufvertrag, sondern eine Zusammenarbeit bezüglich der gesamten technologischen Kette.
Das ist ein Ergebnis unserer 50-jährigen gemeinsamen Arbeit. Als wir gestern im Beisein des Präsidenten der Russischen Föderation, Vladimir Putin, und des Bundeskanzlers der Republik Österreich, Sebastian Kurz, Dokumente unterzeichneten, betonten wir mit dem Vorstandsvorsitzenden der OMV AG, Rainer Seele: Angesichts dessen, dass das Vorhaben bis 2069 umgesetzt wird – das heißt im Laufe der kommenden 50 Jahre –, wird die erfolgreiche Verwirklichung dieses Vorhabens zu einem guten Geschenk zur 100-jährigen Zusammenarbeit zwischen Österreich und Russland im Gassektor, zwischen Gazprom und OMV werden.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!