Rede von Alexey Miller bei der Podiumsdiskussion „Der internationale Öl- und Gasmarkt von heute und morgen“
Sankt Petersburg
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,
ich freue mich, Sie beim Internationalen Petersburger Wirtschaftsforum zu begrüßen. Und heute würde ich gern eine Reihe sehr wichtiger, grundlegender Sachen tangieren. Ich denke, Sie alle pflichten dem bei, dass wir Augenzeugen sehr ernsthafter, tektonischer Veränderungen sind, die sich auf den Rohstoffmärkten vollziehen. Und das Wichtigste ist: Es verändern sich die wirtschaftlichen Paradigmen.
Unter anderem erfolgt eine Degradation des Bretton-Woods-Systems-II. Wir sind zusammen Zeugen von Preisschocks für Gas, wir sind Augenzeugen einer supergroßen Volatilität auf den Rohstoffmärkten und einer sehr hohen Inflationsrate. Begonnen hat dies alles aber nicht gestern, nicht heute. Und hier muss den ausländischen Regulatoren ein in Anführungsstrichen gesetztes „riesiges Dankeschön“ gesagt werden, und insbesondere den europäischen Regulatoren.
Schon lange haben wir mit Ihnen keine so bemerkenswerte Wortverbindung wie „Drittes Energiepaket“ gehört... Lassen Sie uns aber sich heute an das Dritte Energiepaket erinnern. Was war dies doch gewesen? Und wohin sind wir im Grunde genommen angelangt? Oder unsere Verbraucher, wohin sind sie mit diesem Dritten Energiepaket gekommen?
Erstens: „Lassen Sie uns im Rahmen des Dritten Energiepakets auf eine Anbindung bei der Bestimmung der Preise für Gas an die Ölpreis-Indexierung, auf eine Ölpreiskopplung verzichten“. Wunderbar. Diese Arbeit begann unter der Führung der europäischen Regulatoren. Was haben wir heute? Heutzutage hätten es alle gern, dass entsprechend ihres Vertrages die Gaslieferung mit einer Ölpreiskopplung erfolgt. Denn dies sind die niedrigsten Preise für Gas.
Weiter. „Lassen Sie uns auf langfristige Verträge verzichten. Wozu diese, Ihre langfristigen Verträge? Lassen Sie uns zu Spot-Verträgen übergehen! Lassen Sie uns zu Börsen-Instrumenten übergehen! Und ja, eben dieser Markt – der Spot-, der Börsenmarkt – wird alles an seine Plätze bringen“.
Aber wir wissen, dass, wenn das Gas nicht verkauft worden ist, wir keine Förderkapazitäten schaffen. Wir fördern und transportieren kein Gas. Daher können wir zum heutigen Tage unsere Regulatoren auch damit erfreuen, dass entsprechend jenen langfristigen Verträgen, die nicht verlängert worden sind, oder da keine neuen abgeschlossen worden sind, für sie keine Förderkapazitäten geschaffen worden sind und nicht geschaffen werden. Somit erfolgt eine unzureichende Investitionstätigkeit, ein potenzieller Investitionsmangel im Gas-Sektor.
Was aber den Spot (-Handel) und die Börseninstrumente angeht… Wir hatten ja doch gewarnt und gesagt: „Nun, wozu müssen Sie dies tun, wenn das Gas im Unterschied zum Erdöl keine klassische Börsenware ist?“. Als Ergebnis sind all diese Spot- und Börsenhandelsplätze nichtliquide.
MODERATOR: Und was hat man Ihnen damals geantwortet, als Sie dies gesagt hatten?
ALEXEY MILLER: Sie machten einfach das, was sie für nötig hielten. Sie wissen wohl, ein bekannter Kaiser [Napoleon Bonaparte] hat seinerzeit gesagt: „Wenn Ihr Gegner, nennen wir ihn einmal Opponent, einen Fehler begeht, stören Sie ihn nicht, den zu machen“. Wir haben aber gewarnt. Wir sagten: „Hören Sie einmal, dies ist eine sehr riskante Maßnahme, auf langfristige Verträge zu verzichten“.
Weiter. Nord Stream 2. Nord Stream 2 haben wir genauso wie auch Nord Stream gebaut. Wir erhalten doch zuerst das, was als „Auftrag“ bezeichnet wird. Schließlich bittet man uns darum. Wir beginnen doch nicht selbst, solche Infrastruktur-Projekte zu errichten, und sagen: „Guten Tag, wir sind zu einer Uferlinie gekommen. Wir haben schon eine Röhre hier“. Natürlich nicht.
Man hatte uns gebeten, die Pipeline zu bauen. Investiert wurden einfach gewaltige Mittel. Und als alles fertig gebaut worden ist… Sie wissen, Nord Stream 2, dies sind zwei Stränge. Sie stehen unter Druck. Und man kann heute anfangen, Gas nach Deutschland zu liefern. Die Pipeline ist nicht in Betrieb genommen worden, weil sie nicht zertifiziert worden ist. Aber da ergibt sich die Frage: „Und wie kann man überhaupt in Bezug auf Anlagen in Investitionsprojekte, in große Investitionsvorhaben Vertrauen haben?“. Es gibt auch schärfere Definitionen: Dies ist eine Diskriminierung von Investoren.
Daher, was die Inflation und was die Volatilität der Preise angeht, sie sind aus der Reihe all jener Entscheidungen, die vorher verkündet und umgesetzt worden sind. Nun, da haben Sie es und quittieren Sie dafür. „Die Geister, die ich rief, werd“ ich nun nicht los.“ [nach Goethe aus dem „Zauberlehrling“].
Und was bringen die Inflation und die Volatilität der Preise hervor? Sie lösen einen Bedarf an Krediten aus. Insbesondere an kurzfristigen Krediten. Aber da ergibt sich für die Banken der Bedarf an einer größeren Liquidität. Und wir sehen bereits, dass mehrere ausländische Banken bestimmte Schwierigkeiten bei der Gewährung solcher Kredite verspüren. Und wird möglicherweise für sie solch eine Möglichkeit überhaupt in einiger Zeit verschwinden? Unter Berücksichtigung solch einer Volatilität und solcher Preisschocks?
Augenzeugen sind wir von was? Wir sind Zeugen einer Ruptur von zwei Systemen. Einerseits des Systems der Waren- und Rohstoffmärkte, des Ressourcensystems. Und andererseits, nennen wir es nominales System, System der Zentralbanken, Reserve-System.
Worin besteht im Grunde genommen das Problem? Und worin ist diese Ruptur bzw. dieser Abbruch zu beobachten? Und zu beobachten ist er, entschuldigen Sie, nicht, weil irgendwer irgendwen beschuldigt. Dies ist simpel eine Gegebenheit.
Die Zentralbanken regulieren den Nennwert. Sie regulieren die Zinssätze. Sie regulieren die Devisenkurse. Aber dies alles sind nominelle Sachen. Dies alles ist nominal. Über diese Nominalinstrumente… Ich möchte hier die Aufmerksamkeit darauf lenken, dies ist ein sehr wichtiger Aspekt… Über diese Nominalinstrumente steuern und kontrollieren sie die Nachfrage.
Ja, was aber kontrollieren sie nicht? Sie kontrollieren nicht das Angebot der Waren- und Rohstoffmärkte. Das Angebot an Rohstoffen. Und Umfänge dieses Angebots. Sie haben tatsächlich schlicht und einfach keine solchen Instrumenten. Und das Bretton-Woods-System II, dies ist im Grunde genommen ein Paradigma: „Unsere Währung – unsere Regeln. Wir sagen Ihnen, wie man unsere Währung nutzen kann, was wir Ihnen erlauben und was wir Ihnen nicht erlauben. Und überhaupt: Das Gesetz ist der Atlantik“.
Aber wir sehen, dass die Dominanz des Dollars aufhört. Es erfolgen Zahlungen in nationalen Währungen. Und letzten Endes verändert sich das Paradigma.
Und wenn wir uns gemeinsam an das klassische Schema Geld – Ware – Geld – Strich erinnern. Da ist es, das Paradigma von Bretton-Woods. Jetzt aber kommt eine völlig andere Formel an die erste Stelle: Ware – Geld – Ware. Man verkauft zuerst Gas, danach fördert man es. Unsere Waren zu unseren Regeln. Wir spielen keine Spiele, für die wir nicht die Regeln ausgedacht haben. Der eine wird da sagen: „Das Gesetz ist der Atlantik“. Und irgendwer sagt: „Das Gesetz ist die Taiga“.
Und das Interessanteste ist, dass die Sanktionspolitik und die Politik der Gegensanktionen zu solchen Folgen geführt haben, die möglicherweise gar niemand auch angenommen hatte. Warum? Weil die Sanktionen und Gegensanktionen die globalen Rohstoffmärkte tangiert haben.
Wir alle kennen solch einen Begriff wie Quantenverschränkung gut aus der Quantenphysik. Also, wissen Sie, man kann sagen, dass zum heutigen Tage in der Weltwirtschaft eine Verschränkung bzw. ein Wirrwarr von Sanktionen und Quasisanktionen begonnen hat. Zehntausende Sanktions- und Kontersanktionsdokumente. Dabei muss man die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass diese Dokumente auch sekundäre, drittrangige Sanktionen und so weiter voraussetzen können.
Und was bedeutet dies? Dies bedeutet, dass sich das sogenannte exterritoriale Recht – wie sich herausstellt – nicht nur im Paradigma von Bretton-Woods offenbart, in dem der Grundsatz gilt: Unsere Währung – unsere Regeln. Es offenbart sich auch in einem anderen Paradigma. Warum? Weil Sie den Zustand Ihres Energiesystems oder Wirtschaftssystems nicht beschreiben können, ohne die Regeln des konkreten Waren- und Rohstoffmarktes zu kennen oder ohne um die Umfänge des Angebots auf diesem Markt zu wissen. Und in dieser Situation stellt sich heraus, dass die Institute des Bretton-Woods-Systems, die globalen internationalen Institute… Sie verlieren schlicht und einfach – entschuldigen Sie – den Sinn. Sie verlieren den Sinn. Sie funktionieren nicht. Und sie sterben still und leise ab.
Verstehen Sie, es hat doch keiner gesagt, dass die Apokalypse des einen oder anderen Paradigmas oder des einen oder anderen Systems an einem Tag, augenblicklich beginnen muss. Erinnern Sie sich an den Witz, bei dem das Bein eines Mannes schmerzt und er zu Chirurgen, zu berühmten Akademiemitgliedern kommt, um sich konsultieren zu lassen. Der erste spricht: „Man muss so schnell wie möglich das Bein amputieren“. Der zweite: „Ja, man muss es so schnell wie möglich tun“. Der dritte: „Es muss sofort amputiert werden!“. Dem Mann tut es aber um das Bein leid. Er kommt zu einem Allgemeinmediziner und sagt: „Hören Sie einmal, gucken Sie einmal! Was ist mit dem Bein los? Alle Chirurgen sagen, man müsse das Bein amputieren“. Jener sagt: „Nein, nein, was denken Sie denn! Das Bein muss nicht amputiert werden“. „Wie das denn? Alle Akademiemitglieder, die Leuchten der Chirurgie, haben gesagt, dass man es müsse“. „Ja, machen Sie sich keine Sorgen. Es wird selbst austrocknen“.
Nun denn, verstehen Sie? Diese globalen internationalen Institute des Bretton-Woods-Systems werden gleichfalls still und leise austrocken und verdorren. Und wir werden ihre Rolle schon nicht mehr spüren. Und sie selbst begreifen bereits ihren Platz nicht mehr. Und ich unterstreiche: Der Sinn ist einfach verlorengegangen. Es gibt keinen Sinn mehr.
Wenn wir aber über das Bretton-Woods-System und darüber sprechen, worüber wir gerade gesprochen haben: Dieses System der nominalen Wertregulierung ist von einer möglichen Kontrolle des Angebots an Rohstoffwaren losgelöst… Es vermittelt einen überaus starken Inflationsimpuls. Das System an sich ist so aufgebaut. Weder Ivanov, Petrov und Sidorov, noch Smith oder sonst noch irgendwer, sondern das Bretton-Woods-System an sich verursacht einen überaus gewaltigen Inflationsimpuls.
Das Fazit. Was folgt danach? Eine De-Globalisierung, eine Anhäufung von Warenvorräten, ein Doublieren von Lieferketten. Und im Endergebnis werden wir gemeinsam mit dem Verständnis dessen leben, dass, wie einige Experten sagen, das Spiel zu Ende ist. Wir kämpfen aktiv gegen Anglizismen, ich denke aber, dass man heute diese englische Formulierung verwenden kann: The game is over. Aber warum ist das Spiel aus? Weil die Nachfrage nach Rohstoffen die Nachfrage nach Devisenreserven ersetzt. Und dies ist eine sehr ernsthafte, eine tektonische Bewegung. Eine kolossale.
Es stellt sich die Frage: Was gibt uns dies da? Erstens verschafft es uns ein Fenster von Möglichkeiten aus der Sicht eines Umbaus des weltweiten Systems der Produktion und Verteilung der Brennstoff- und Energieressourcen für eine effizientere und gerechtere Energieversorgung.
Viele Experten sagen, dass eine Zeit der Schaffung neuer energiewirtschaftlicher Vereinigungen beginne, die unter anderem auf der Basis einer geschlossenen Wertschöpfungskette im Brennstoff- und Energiekomplex unter Berücksichtigung der Produktionszyklen geschaffen werden können. Das Wichtigste aber – mit einer klaren Orientierung auf einen konkreten Umfang des Verbrauchs. Mehrere Experten gehen noch weiter und sagen, dass zur Grundlage solcher Vereinigungen eine Triade werden könne – Energie und Rohstoffe, Lebensmittel, Militärpotenzial.
Russland ist, wie wir wissen, sehr reich an Naturressourcen. Hier sind Naturreichtümer. Und das sind eben wir mit Ihnen. Was bedeutet dies? Dies bedeutet, dass die Konturen des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems des neuen Typs natürlich auch in sehr großem Maße die Russische Föderation bestimmen wird. Und diesbezüglich bestehen keinerlei Zweifel.
Was passiert auf den Märkten? Lassen Sie uns einmal über einige der letzten Jahre sprechen. Denn die Situation auf den Märkten verändert sich sehr schnell. Und wenn man über die reale Lage der Dinge auf den Märkten sprechen möchte, und wenn man selbst anfängt, von einem Einspeichern von Gas in die UGS in den letzten zehn oder gar fünf Jahren zu berichten… Dies alles sind nicht die Zahlen. Man muss sich die Zahlen der letzten Jahre anschauen.
Die Jahre 2018–2021. Wenn man über Gazprom spricht, so hat das Unternehmen diese sehr schwere Zeit erfolgreich überstanden. Eine Zeit drastischer Höhenflüge und heftiger Einbrüche der Nachfrage nach Gas. Eine Zeit einer eingeschränkten Mobilität und Wiederherstellung nach COVID-19. Im vergangenen Jahr, im Jahr 2021, sicherte ein Drittel des Wachstums der gesamten weltweiten Nachfrage nach Erdgas die Förderung von Gazprom.
Unter den Bedingungen, über die wir gemeinsam gesprochen haben, die zweifellos grundlegende sind und einen langfristigen Charakter tragen, sehen wir auch Veränderungen, die sich in eine positive Richtung auf dem Binnenmarkt vollziehen.
Denn dies sind mehr Aktivitäten zur Schaffung gasintensiver Produktionsstätten – sowohl mit geringen als auch mittleren und großen Leistungsumfängen – auf dem Gebiet der Gasverarbeitung und Gaschemie. Das Wichtigste aber ist die Aufgabe, die durch den Präsidenten der Russischen Föderation, Vladimir Putin, gestellt wurde – der vollständige Anschluss des Landes an eine zentralisierte Gasversorgung. Technisch wird bis zum Jahr 2030 der mögliche Anschluss an eine zentralisierte Gasversorgung im Land zu 100 Prozent erreicht werden. Natürlich ist dies auch die Herstellung von Mineraldünger. Und dies ist eine Entwicklung des Marktes für Erdgasfahrzeuge.
Wenn man über den Umfang der Zunahme der Gaslieferungen durch das Programm zum Ausbau der Erdgasinfrastruktur spricht, so werden dies bis zum Jahr 2030 so um die rund 20 Milliarden Kubikmeter Gas sein. Und in Bezug auf Gaskraftstoffen – etwa um die zehn Milliarden Kubikmeter Gas.
Wenn wir über den Binnenmarkt reden, müssen wir gemeinsam unbedingt über das Östliche Gasprogramm sprechen. Nun denn, was das Östliche Gasprogramm angeht: Angefangen haben wir nicht gestern, es auszuarbeiten und zu realisieren. Ganz und gar nicht gestern. Wir haben aber bereits an Tempo zugelegt. Und ich möchte sagen, dass wir in der nächsten Zeit bei der Realisierung des Östlichen Gasprogramms noch mehr Tempo zulegen werden.
Erinnert sei an sehr große Megaprojekte. (An die Gaspipelines) Sachalin – Chabarowsk – Wladiwostok und Power of Siberia. Hervorheben möchte ich einen neuen Vertrag, der im Februar dieses Jahres unterzeichnet wurde. Über Gaslieferungen in die Volksrepublik China aus dem Fernen Osten in einem Umfang von zehn Milliarden Kubikmetern. Erinnert sei daran, dass wir mit den projektvorbereitenden Arbeiten für den Bau einer Verbindungsleitung zwischen dem Einheitlichen Gasversorgungssystem, das wir im europäischen Teil des Landes haben, und Ostsibirien zusammen mit dem Fernen Osten begonnen haben. An die Gaspipeline Power of Siberia 2. Und so weiter und so fort.
Und das Wichtigste ist, dass die Preise auf unserem Binnenmarkt, auf dem russischen, absolut stabil, voraussagbar und sozial orientiert sind. Und es muss natürlich auch betont werden, dass unser Gas noch einen größeren Beitrag leistet und leisten wird, damit die Selbstkosten unserer Industrieerzeugnisse noch wettbewerbsfähiger sind und sein werden.
Die Europäische Union. Derzeit ist die Verdichterstation Portowaja in aller Munde. Ja, aber was ist die Verdichterstation Portowaja? Wie kann das sein? Was passiert dort überhaupt? Wir sprechen gemeinsam über den Sanktionswirrwarr. Eben dies ist es, nicht einfach ein Sanktionswirrwarr, nicht irgendeine absolut zielgerichtete Entscheidung von irgendwem.
Die Situation ist eine sehr schwierige. Sie besteht darin, dass, als wir Nord Stream und Nord Stream 2 bauten, besonders aber Nord Stream… Natürlich, alle waren auf die transeuropäische – ich unterstreiche – die transeuropäische Dimension und das Format der Realisierung dieses Projekts stolz gewesen. Und genannt wurden Dutzende europäische Länder, die an den Lieferungen von Anlagen und Ausrüstungen für den Bau von Nord Stream teilnehmen.
Und da Deutschland, deutsche Unternehmen, die Aktionäre von Nord Stream sind… Sie hatten natürlich keinen geringen Anteil an Lieferungen von Anlagen und Ausrüstungen übernommen. Sie haben an diesem Projekt teilgenommen und sind an ihm beteiligt. Und unter anderem das deutsche Unternehmen Siemens. Also, zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind alle Vorverdichteranlagen, alle Gasturbinentriebwerke… Dies alles ist von Siemens. Aber, jegliches Gasturbinentriebwerk, wie wir alle wissen, hat eine (festgelegte) Einsatzdauer zwischen den Instandsetzungen. Und nach Ablauf dieser Einsatzzeit zwischen den Instandsetzungen muss es zu einer Generalüberholung. Ihre Aufmerksamkeit sei auf Generalüberholung gelenkt. Und eine Generalüberholung ist eine betriebliche Geschichte. Und es stellt sich heraus, dass das Unternehmen Siemens nur einen Betrieb hat, nur einen Betrieb, in dem man die Reparatur dieser Triebwerke durchführen kann. Und dieser Betrieb befindet sich in Kanada.
Herrlich! Und jetzt zum Sanktionswirrwarr. Und ob dies zufällig oder nicht zufällig ist. Sie wissen, in Bezug auf Gazprom hat nur ein Land Sanktionen verhängt. Dies ist Kanada. Kanada? Wir arbeiten nicht in Kanada. Wo ist da Kanada? Ja, und Kanada hat gegen Gazprom Sanktionen beschlossen.
Das Unternehmen Siemens – und für uns ist der Partner das Unternehmen Siemens und nicht der kanadische Betrieb – lieferte das Triebwerk zur Reparatur an den Betrieb, doch es kann dieses nicht von dort abholen. Und man sagte dem Unternehmen Siemens, nicht uns – dem Unternehmen Siemens: „Entschuldigen Sie, wir haben unser, das kanadische Recht, ein eigenes Sanktionsrecht. Was für ein internationales? Ein Sanktionsrecht. Gazprom befindet sich unter Sanktionen. Bei Ihnen befindet es sich nicht unter Sanktionen. Bei uns ist es unter Sanktionen. Sie haben da Ihren Betrieb. Interessant. Und unsere Turbine, die Ihnen gehört, die Sie liefern müssen. Interessant. Es herrschen aber Sanktionen. Das geht nicht. Das geht nicht“. Was tun? Kanada sagt: „Wir wissen es nicht. Es geht nicht, da Sanktionen gelten. Gehen Sie!“.
Und dann – weiter. Das Triebwerk liegt in dem Betrieb. Siemens kann das Triebwerk nicht von dem Betrieb abholen. Und andere Triebwerke kommen und sind bereits (an ihre Wartungstermine) gekommen. Nicht alle, da sind noch einige geblieben, die bis zu dem Zeitpunkt kommen, an dem man eine Generalreparatur durchführen muss. Nach Kanada wird man sie aber schon nicht schicken. Und man wird sie auch nicht in irgendeinen anderen Betrieb schicken.
Da ergibt sich die Frage: „Was ist das? Hat sich da ein gewisser Sanktionswirrwarr ergeben?“. Oder ist dies möglicherweise mit einem Begreifen der Antwort auf die Frage „Wozu ist dies getan worden?“ geschehen?
Wenn es solch eine Antwort auf die Frage „Wozu ist dies getan worden?“ gibt, so kann das Ziel der Sanktionen ein weitaus globaleres und umfassenderes sein. Und möglicherweise hat es für irgendwen Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, mit wessen Händen und wie dies getan wird.
Ich kann Ihnen jetzt direkt objektiv sagen: Zum heutigen Tag gibt es keinerlei Lösungsweg für das Problem, dass sich hinsichtlich der Verdichterstation Portowaja ergeben hat. Nun, es gibt vorerst keine solche Lösung, verstehen Sie. Das Unternehmen Siemens schweigt bisher, versucht, diese Lösungen zu finden. Es gibt aber keine Lösungen.
Natürlich, Gazprom reduziert die Mengen für die Gaslieferungen nach Europa. Wir haben gestern eine Statistik für die ersten fünfeinhalb Monate veröffentlicht. Ja, wir haben einen Rückgang der Gaslieferungen nach Europa um mehr als zehn Prozent, um ein Zigfaches. Nur wissen Sie, die Preise sind aber nicht um mehrere dutzend Prozent angestiegen, sondern um ein Mehrfaches. Daher entschuldigen Sie mich, aber wenn ich sage, dass wir über keinen beleidigt sind, so lüge ich nicht. Über keinen. Ja, dies ist die Wahrheit.
Was die Europäische Union angeht, so muss man auch noch einige Momente tangieren. Da haben wir über die Verdichterstation Portowaja gesprochen, gesprochen haben wir auch über die Regulatoren. Wir haben ebenfalls über Nord Stream gesprochen. Lassen Sie uns aber gleichfalls Nord Stream 2 aus der Sicht dessen streifen, was geschehen ist. Nord Stream 2 steht still. Sie wissen aber: Unsere russische Wirtschaft, unser Binnenmarkt, sie stehen nicht auf der Stelle.
Wir verstehen, dass wir überschüssige Kapazitäten für die Gaspipeline Nord Stream 2 geschaffen haben, die nicht gebraucht wird. Ja, und? Die Kapazitäten vorerst eines Strangs von Nord Stream 2 haben wir für die Bedürfnisse der Gasversorgung des Nordwestlichen Föderationskreises neuausgerichtet.
Alle Gouverneure des Nordwestlichen Föderationskreises spendeten uns Applaus und sagten: „Was sind Sie doch für Prachtkerle. Wie toll! Wir werden den Ausbau der Gasinfrastruktur mit noch einem größeren Tempo vornehmen und solche Produktionsstätten hier errichten, dass es überhaupt ein Vergnügen sein wird, dies zu sehen“.
Weiter. Wie werden oft Entscheidungen gefällt? Für uns ergibt sich da ehrlich gesagt diese Frage. Unter anderem gibt es da den Vorschlag, der auch in diesem Saal, unter diesem Publikum gut bekannt ist – schwimmende Regasifizierungsanlagen in die Häfen Europas zu schicken und vor Anker gehen zu lassen. Sie wissen, solch eine Regasifizierungsanlage in einem großen Hafen, in einem sehr dichtbesiedelten Gebiet zu positionieren… Man kann sagen, dass dies eine sehr, sehr kühne Entscheidung ist. Nun, eine sehr mutige.
An und für sich aber ist die Anlage, wissen Sie, wie ein Glas ohne Wasser. Nicht bloß ohne Wasser – ohne „stilles“ Wasser. Gut, Sie haben da aus irgendeinem Grunde die Anlagen hingestellt. Aber haben Sie denn verflüssigtes Erdgas gekauft? Haben Sie Verträge zur Auslastung dieser Regasifizierungsanlagen? Womit werden Sie denn das Glas füllen? Es gibt keine Antwort.
Und weiter kann man absolut sicher sagen, dass in der nächsten Zeit, buchstäblich in der allernächsten Zeit die Nachfrage nach LNG auf dem asiatisch-pazifischen Markt zunehmen wird. Sie wird steigen, und wesentlich. Wird es sich da nicht ergeben, dass bereits zur zweiten Hälfte dieses Jahres die europäischen LNG-Importeure mit den chinesischen, indischen, mit den asiatischen Käufern um zusätzliche Lieferungen „goldenen“ LNG kämpfen werden?
Dies kann nicht ausgeschlossen werden. Dass aber die Nachfrage nach LNG dort in der nächsten Zeit ansteigen wird, dies ist absolut sicher. Wir wissen um die Faktoren, die eine zeitweilige Verringerung der Nachfrage bewirkt haben. Der Einfluss dieser Faktoren lässt gegenwärtig nach.
Weiter. Dies ist solch ein, sehr gut illustrierendes Beispiel aus der Sicht, was für Lösungen dort überhaupt vorgeschlagen werden. In Europa sagt man: „Oh! Wissen Sie, wir werden in der kurzfristigen Perspektive – hören Sie einmal: in der kurzfristigen Perspektive – die Erzeugung von Biomethan um 17 Milliarden Kubikmeter Gas erhöhen“.
17 Milliarden Kubikmeter Gas, verstehen Sie, für Europa und für Russland… 17 Milliarden Kubikmeter Gas. In der kurzfristigen Perspektive.
Zum heutigen Tag gibt es in Europa mehr als eintausend – 1.023 – Betriebe für die Herstellung von Biomethan. Und sie erzeugen etwas weniger als drei Milliarden Kubikmeter Gas. Geschaffen haben sie solche Kapazitäten im Verlauf von zehn Jahren.
Also denn, wenn man sich an jenem Tempo orientiert, das es gegeben hat: Damit es diese 17 Milliarden Kubikmeter Gas, das Biomethan gibt, müssen sie ausbauen. Dafür braucht man dann – ergibt sich – 60 Jahre und 5.700 Betriebe. Ich denke, hier kann man den Vergleich anwenden, dass der Berg kreißen kann und eine Maus zur Welt bringt. Das ganz bestimmt.
Mitunter werden sehr überstürzte Entscheidungen getroffen. Gefällt werden sie sehr schnell, und sie sind nicht immer gut durchdachte Entscheidungen. Sie wissen aber, was es heißt: „Ein gesprochenes Wort ist kein Spatz; einmal ausgeflogen, fängst Du es nicht mehr ein“. Wir haben heute bereits über langfristige Verträge gesprochen. Man hat uns gesagt, dass keine langfristigen Verträge nötig seien. Und das war es, sagte man. Ergo werden sie nicht gebraucht. Folglich wird es sie nicht geben.
Wir erfüllen doch unsere Pflichten. Wir haben alles vernommen. Vermag aber die andere Seite ihre Pflichten zu erfüllen? In Bezug auf Biomethan oder schwimmende Regasifizierungsanlagen? Oder was es da noch gegeben hatte? Oder die Windräder-Inseln. Das ist auch ein separates Thema. Es ist ein sehr großes. Wir werden es nicht einmal tangieren.
Was das Jahr 2021 anbetrifft: Welche Länder haben die größte Nachfrage nach Gas gezeigt? Dies ist natürlich China, und dies ist Indien. In den letzten zehn Jahren, von 2011 bis 2021, hatte die Nachfrage in China, stellen Sie sich einmal vor, 32 Prozent der Zunahme der weltweiten Nachfrage nach Erdgas gesichert. In den letzten fünf Jahren, seit 2016, machte die durchschnittliche Jahreszunahme des Gasverbrauchs in China 32 Milliarden Kubikmeter aus. Zum Ende des Jahres 2021 machte Gas in der Brennstoff- und Energiebilanz Chinas 8,5 Prozent aus. Und bis zum Jahr 2030 haben sie 15 Prozent als Ziel gesetzt. Und ich bezweifele nicht, dass sie dieses Ziel erreichen werden.
Und erlauben Sie vielleicht zum Abschluss die buchstäblich aktuellsten operativen Zahlen, für die ersten fünf Monate (dieses Jahres). Der weltweite Gasverbrauch in den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 hat sich im Vergleich zu den ersten fünf Monaten des Jahres 2021 um 25 Milliarden Kubikmeter Gas verringert. Die Frage ist: Um wieviel verringerte sich der Gasverbrauch in den 27 Ländern der Europäischen Union im analogen Zeitraum? Die Antwort ist: um 24 Milliarden Kubikmeter. Andererseits hat Gazprom in den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 im Vergleich zum analogen Zeitraum des Vorjahres die Lieferungen von Pipelinegas nach China um 67,5 Prozent erhöht.
Und lassen Sie uns über die mittelfristige Perspektive sprechen: Die mittelfristige Perspektive, wir werden sie als einen Investitionszyklus ansehen, das sind fünf Jahre. Im Gassektor ist das absolut solch eine Arbeitszahl, absolut ein Arbeitszeitraum.
Die pessimistische Prognose für die Zunahme des weltweiten Gasverbrauchs – die pessimistische – erwartet ein Plus von 320 Milliarden Kubikmetern. Die mittlere (Konsens-) Prognose – ein Plus von 370 Milliarden Kubikmetern Gas. Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf Folgendes, obgleich in diesem Saal allen klar ist, dass unter Berücksichtigung der zurückgehenden Förderung auf den derzeitig betriebenen Feldern weitaus mehr Förderkapazitäten geschaffen werden müssen. Daher steht der Gasbranche in den nächsten fünf Jahren eine große, ernsthafte und umfangreiche Arbeit bevor.
Russland, dies ist Energie-Stabilität. Russland ist aber auch ein Lieferant von Energie-Stabilität für die Freunde Russlands.
Danke!
MODERATOR: Nach solchen Worten will man wirklich „Uff!“ sagen. Herr Miller, ich stelle mir schon heute die Überschriften vor, was überall geschrieben wird: „Das Spiel ist aus“, „Game Is Over“.
Eine präzisierende Frage: Was war dies für ein Spiel? Und warum haben Sie beschlossen, es zu beenden?
ALEXEY MILLER: Ich wiederhole noch einmal.
Erstens, was ist das für ein Spiel? Wir sprechen vom Bretton-Woods-System-II. Zweitens. Wir sprechen davon, dass die Nachfrage nach Devisenreserven durch die Nachfrage nach Rohstoffen ersetzt wird. Folglich ist das Spiel mit dem Nominalwert des Geldes zu Ende. Das Spiel mit Nominalinstrumenten ist aus. Dieses System erlaubt nicht, das Angebot auf den Waren- und Rohstoffmärkten zu kontrollieren. Die Nominalinstrumente – die Prozentsätze, die Währungskurse – sie erlauben nicht, dies zu tun. Die Rolle und der Platz von Rohstoffen und Energie nehmen aber zu. Energie und Rohstoffe werden für alles gebraucht.
MODERATOR: Danke!