Grant Margulov
Präsident des Internationalen Brennstoff- und Energievereins, Direktor des Zentrums „Energiewirtschaft und Zivilgesellschaft“.
„Sabit Orudzhev zeichnete sich durch bewundernswerte Klarsicht aus...“
Ein Bahnbrecher seiner Zeit
Sabit Orudzhev war habilitierter Doktor der technischen Wissenschaften und Bahnbrecher für Tiefbohrungen und Erdölförderung auf hoher See. Er etablierte die landesweit erste Fachverwaltung für Offshore-Lagerstätten und übernahm die Leitung beim Bau der ersten eissicheren Bohrplattform im Offshore-Teil der Erdgaslagerstätte Strelkowskoje, wo Technologien für den Bau der ersten Bohranlagen auf hoher See ausgefeilt wurden. Auf seine Initiative hin wurden Machbarkeitsstudien für den Bau der ersten Erdöl- und Gaspipelines unter Wasser durch das Kaspische, Asowsche und Schwarze Meer erstellt. Seine Marineuniform eines Admirals trug er mit besonderem Stolz.
Die Fähigkeit, das Potenzial eines jeden zu erkennen
Mir ist noch gut in Erinnerung, wie ich, eine Kreatur von Alexey Kortunov und Chefingenieur in der ersten Verwaltung des Ministeriums für Gasindustrie, in den Sitzungssaal des Kollegiums in der Kirowa-Straße 20 zu einem Treffen mit Sabit Orudzhev eingeladen worden bin. Das Gespräch war kurz und bündig: „Ich weiß alles über Sie“, sagte Sabit Orudzhev. „Sie werden als Leiter der Planungs- und Wirtschaftsverwaltung beim Ministerium und als Mitglied des Kollegiums arbeiten. Als Ex-Leiter einer großen Betriebsvereinigung und Leiter der technischen Verwaltung wird es Ihnen leichter fallen, überaus wichtige Probleme in der wirtschaftlichen Entwicklung der Branche zu meistern.“ Als ich später bereits erster stellvertretender Minister für Gasindustrie war, wurde mir die Weisheit von Sabit Orudzhev bei der Entscheidung über Personalfragen erst richtig bewusst.
Sabit Orudzhev war ein Mensch mit extrem schwierigem Charakter und gewaltigem Durchsetzungsvermögen. In den Beziehungen zu seinen untergeordneten Kollegen gingen hohe Ansprüche, die er an sie stellte, mit einem immensen Einfühlungsvermögen und respektvollen Verhalten nebenher. Er unterstützte weitgehend starke und mutige Fachkräfte, die treu bei der Sache waren, und förderte sie großzügig, während er bemüht war, schwache und träge Mitarbeiter nicht zu beleidigen.
Ein Beispiel für Rednerkunst
Sabit Orudzhev war ein ausgezeichneter Redner und Polemiker, seine Sprache war stets konkret und zeichnete sich durch eiserne Logik, Urwüchsigkeit und Humor aus. Sabit Orudzhev besaß von Natur aus die besondere Gabe, sich über Kleinigkeiten hinwegzusetzen und seinen Standpunkt zu beweisen.
Im Endergebnis erschienen Regierungsverordnungen, die auf die Erfüllung strategischer Aufgaben zur beschleunigten Entwicklung in der Gasindustrie abzielten: die langfristige Entwicklung der Gasindustrie in Westsibirien und in der Orenburg-Region; die Errichtung von Ferngasleitungen aus mehreren Strängen unter Hochdruck; die Entwicklung des Maschinenbaus und der Rohrindustrie; die Gründung neuer Forschungs-, Planungs- und Konstruktionsbüros in Moskau, Leningrad, Kiew, Saratow, Donezk, Simferopol und anderen Städten.
Bahnbrechende Ideen
Zu den umfangreichsten Programmen und Projekten, die Sabit Orudzhev vorgeschlagen hatte und die im Allgemeinen kurzfristig umgesetzt worden waren, gehörten die vorsorgende Vorbereitung neuer industrieller Erdgasvorräte; die Etablierung von großen Gasindustriezentren in einzelnen Regionen, aus denen Gas in zentrale Regionen und in den Ural zugeführt wurde; die Errichtung des mittelasiatischen industriellen Knotenpunkts und des Systems von Ferngasleitungen Mittelasien – Zentrum.
Sabit Orudzhev entwickelte die bestehende und errichtete eine neue organisationstechnische Basis, auf der die Gasindustrie von der vorwiegenden Förderung brennbarer Rohstoffe auf die technologische Verarbeitung von Erdgas in großem Stil umgestellt wurde. Dazu gehörten die mächtigen Gaschemiekomplexe Orenburg, Muborak, Schurtan und Astrachan, in denen Gasschwefel, Helium, Ethan und andere werthaltige Produkte aus Erdgas erzeugt wurden.
Analytische Fähigkeiten
Sabit Orudzhev zeichnete sich durch bewundernswerte Klarsicht aus. Mir ist noch in Erinnerung, wie er nach einer gründlichen Prüfung von Möglichkeiten für sibirisches Gas und nach einem Arbeitstreffen vor Ort mit Fachleuten, von der Tribüne auf einem Parteitag der KPdSU in aller Öffentlichkeit folgende Erklärung abgab: „Die Förderung von einer Billion Kubikmeter Gas jährlich ist in unserem Land kein Mythos, sondern eine reale Aufgabe.“ Er behauptete, dass „in Sibirien sämtliche Voraussetzungen für eine Rohstoffbasis bestehen, um diese Billion in der Förderung zu erreichen“.
Zu Beginn der 80er Jahre war mit seiner Beteiligung bereits der wissenschaftliche und organisatorische Grundstein für eine großangelegte Erschließung des Gasindustriezentrums auf der Halbinsel Jamal und der Erdöl- und Erdgasressourcen in Ostsibirien gelegt worden. Sabit Orudzhev behauptete, dass der großangelegte Aufbau der Gaschemieindustrie im Osten des Landes zu einem neuen vorrangigen Geschäftsfeld werden könne.
Die Prognose hat sich in vollem Maße bewahrheitet
Sabit Orudzhev pflegte zu sagen: „Erdgas als jüngerer Bruder von Erdöl wird nochmal für den Fortschritt der menschlichen Zivilisation das Sagen haben.“ Bereits Mitte 1992 kamen russische Wissenschaftler zu folgendem Kernschluss: Errungenschaften der Geologie, unter anderem das Abteufen der supertiefen Kola-Bohrung veränderten generell die aktuellen Vorstellungen vom Erdaufbau und von globalen Prozessen, die im Erdinnern ablaufen.
In der Bewertung von Erdgasressourcen ist eine Art wissenschaftlicher „Durchbruch“ geschehen, der neue gewaltige nicht konventionelle Ressourcen nach sich gezogen hat, welche die herkömmlichen prognostizierten Ressourcen um einige Größenordnungen übersteigen, was die von Kohlenwasserstoffen bedingten Beschränkungen in der Entwicklung der Gasindustrie praktisch aufgehoben hat.
Nikolai Baibakov und Sabit Orudzhev waren überzeugt, dass den Ressourcen von freiem Gas die Erschließung von riesengroßen Methanvorkommen in wassertragenden Schichten und von festem Gas in Form von Hydraten, für die neue Technologien geschaffen werden müssen, folgen wird. Sie sprachen häufig davon, dass das Hauptproblem dabei die Kosten seien.
Lebensanschauungen
Erwähnenswert ist, dass Sabit Orudzhev sich an den Grundsatz hielt: Man müsse nicht einfach leben, sondern wissen, wofür man lebt. Da ich die Lebensanschauungen und politische Philosophie von Sabit Orudzhev erwähne, möchte ich auf seine Wesenszüge eingehen: Vorrang von staatlichen Interessen vor persönlichen Absichten, Patriotismus, Sorge um Ruhm und Ehre seiner Heimat, Weisheit, Mut, Tapferkeit und Fairness.