Globaler Ansatz
5. Juni 2015
Der Beitrag erschien in der Gazprom-Korporationszeitschrift Nr. 5, das Gespräch führte Denis Kirillov
Auf die Fragen unseres Magazins antwortet Valery Gulev, Managing Direktor der Gazprom International
Logik
- Herr Gulev, vor einigen Jahren wurde der Start der Reformierung ausländischer Förderkapazitäten der Gazprom Gruppe bekanntgegeben. Weshalb wurde dieser Prozess in Gang gesetzt und von welchen Resultaten kann man heute sprechen?
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Es liegt auf der Hand, dass die Umsetzung von Auslandsprojekten ihre Eigenart hat. Diese hängt nicht nur und nicht sosehr mit technologischen Aspekten zusammen, die hier sicherlich ebenfalls präsent sind, wie vielmehr in erster Linie mit der Organisation des Projektmanagements, der Verfechtung kommerzieller Interessen beim Abschluss von Verträgen mit Regierungsstellen entsprechender Länder und ausländischen privaten und staatlichen Erdöl- und Gasgesellschaften sowie mit der Gestaltung vertraglicher Beziehungen zu Auftragnehmern. Ganz zu schweigen von solchen offenkundigen Faktoren wie die Notwendigkeit der Erforschung und Berücksichtigung der Besonderheiten der Branchen- und Steuergesetzgebung des jeweiligen Landes, der Abwicklung der Tätigkeit und Erstellung der Unterlagen als Minimum in englischer Sprache, mitunter aber auch in der Sprache des Präsenzlandes. Man darf auch das hohe Niveau der Konkurrenz nicht vergessen, mit der wir beim Start unserer Aktivitäten auf diesem oder jenem Markt konfrontiert werden. Realisieren doch unsere ausländischen Partner seit vielen Jahren aktiv und erfolgreich Projekte in Ländern und Regionen, die, was deren Ressourcen angeht, besonders interessant sind. Daher erscheint die Entscheidung über die Gründung einer spezialisierten Gesellschaft zur Umsetzung von Auslandsprojekten, die erforderliches Technologie-, Personal- und Finanzpotential akkumulieren würde, vollkommen verständlich und begründet.
Gazprom International operiert in nahezu zwanzig Ländern auf vier Kontinenten und beteiligt sich an rund 40 Projekten
Im Einklang mit dieser Logik wurde bereits 1998 die ZАО Zarubezhneftegaz mit Gazprom, Zarubezhneft und Stroytransgaz als Partner gegründet. Hauptbereich der Aktivitäten dieses Unternehmens waren Projekte in Zentral- und Südostasien, Indien und Venezuela. 2007 erwarb die Gazprom die Anteile ihrer Partner an diesem Unternehmen, das später in Gazprom Zarubezhneftegaz umbenannt wurde. Im selben Jahr wurde in den Niederlanden die Gesellschaft Gazprom EP International registriert, die die Interessen der Gazprom in jenen Regionen vertreten sollte, die durch Projekte der Gazprom Zarubezhneftegaz nicht erfasst waren. 2011 entschied die Geschäftsführung der Gazprom zwecks Konsolidierung der Ressourcen und Erfahrungen bei der Umsetzung ausländischer Projekte sowie Optimierung der Finanzierungs- und Managementprozesse die Gazprom International zur einheitlichen spezialisierten ausführenden Gesellschaft für Projekte im Bereich der Aufsuchung, Erkundung und Gewinnung von Kohlenwasserstoffen außerhalb Russlands zu ernennen. Im Verlaufe der nachfolgenden drei Jahre wurde das Vermögen der Gazprom ЕР International und der Gazprom Zarubezhneftegaz zusammengelegt.
Gegenwärtig operiert die Gazprom International in nahezu zwanzig Ländern auf vier Kontinenten und beteiligt sich an rund 40 Projekten von jeweils unterschiedlichem Ausmaß. Die wichtigsten dieser Projekte sind in Algerien, Vietnam, Bolivien, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisien und Bangladesch sowie auf dem Schelf der Nordsee angesiedelt.
Vietnam und Algerien
- Welche Projekte würden Sie besonders hervorheben?
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Vietnam und Algerien. In diesen Ländern realisieren wir nicht schlechthin Großprojekte, sondern sind dort auch als Betreiber tätig. So wirkt in Vietnam als Betreiber der Projekte im Bereich des Lizenzblocks №112 sowie der Blöcke №129–132 auf dem Schelf im Südchinesischen Meer die gemeinsame Betriebsgesellschaft Vietgazprom, in der wir mit der vietnamesischen Seite auf paritätischer Basis zusammenarbeiten. Dort sind bereits die Erdgasvorkommen Bao Vang und Bao Den erkundet worden. Darüber hinaus beteiligen wir uns am Projekt der Erschließung von Lagerstätten in den Grenzen der Blöcke №05–2 und №05–3. Wir sind ferner gemeinsam mit der ООО Gazprom Gazomotornoye Toplivo und PV Gas, einer Tochtergesellschaft der vietnamesischen staatlichen Öl- und Gasgruppe PetroVietnam, am Projekt zur Erzeugung von Erdgaskraftstoff beteiligt.
In Algerien sind wir ins Projekt zur Erkundung des El Assel Feldes im Osten des algerischen Teils der Sahara involviert. Unser Anteil an diesem Projekt, wo wir als Betreiber mitwirken, beträgt 49 Prozent. Wir arbeiten in einer Allianz mit der algerischen staatlichen Öl- und Gasgesellschaft Sonatrach, die an diesem Projekt 51 Prozent besitzt. Wir haben inzwischen vier Gas- und Öllagerstätten entdeckt.
Gazprom International arbeitet in Algerien, Vietnam, Bolivien, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisien und Bangladesch sowie auf dem Schelf der Nordsee
- Könnten Sie ausführlicher schildern, was im Rahmen dieser beiden Richtungen geschieht?
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2000 schlossen wir mit unseren vietnamesischen Partnern einen Öl- und Gasvertrag für den Lizenzblock №112 auf vietnamesischem Schelf im Golf von Tonkin. Er sieht Aufsuchung, Erkundung, Förderung und Vertrieb von Kohlenwasserstoffen auf der Grundlage eines Production Sharing Agreements (PSA) vor. Der Vertrag gilt über 25 Jahre mit der Option einer Verlängerung um weitere fünf Jahre. Als Betreiber tritt die Vietgazprom auf. 2003–2004 wurde aufgrund der Resultate der Such- und Explorationsarbeiten der Beschluss gefasst, die Anwendung des Vertrags auf den angrenzenden 113. Block auszudehnen. Die summarischen Gasreserven auf diesen beiden Flächen wurden vorab auf 207,5 Milliarden Kubikmeter geschätzt. Industrielle Vorräte an Gas konnten wir durch die Bohrung der dritten Suchsonde ermitteln – so wurde 2007 auf der Bao Vang Struktur das gleichnamige Gasvorkommen entdeckt. Da die Konturen dieses Vorkommens über die Grenzen des 113. Blocks hinausgehen, erteilte uns die Regierung Vietnams 2008 die Erlaubnis zur Erweiterung der Vertragsfläche auf den Block №111/04. Durch die Bohrungen von 2009 entdeckte die Vietgazprom industrielle Gasvorräte auf der Bao Den Struktur so wurde das zweite Vorkommen entdeckt. Zu unseren nächsten Plänen gehört die Vorbereitung der ermittelten Lagerstätten auf Ausbau und Entwicklung.
2008 unterschrieben wir einen Vertrag für die Entwicklung der Blöcke №№129, 130, 131 und 132, der auf Konditionen des Production Sharing basiert. Als Betreiber wurde Vietgazprom eingesetzt; der Vertrag gilt über 30 Jahre mit der Option einer Verlängerung um weitere fünf Jahre. Das Dokument trat 2009 in Kraft. Die Vertragsflächen – das sind rund 28.500 Quadratkilometer – liegen im Öl- und Gasbecken South Con Son. Ihre summarischen potentiellen Ressourcen wurden orientierungsmäßig auf 440 Milliarden Kubikmeter Gas und 220 Millionen Tonnen Öl geschätzt. Inzwischen hat die Vietgazprom den gesamten Komplex der geologischen Erkundungsarbeiten abgewickelt, die in der Anfangsphase der Erforschung fündiger Blöcke erforderlich sind, und mit der Vorbereitung der Niederbringung der ersten Suchbohrung begonnen.
2012 unterschrieben Gazprom International und PetroVietnam ein Abkommen über die Abtretung von Anteilen am Production Sharing Agreement in den Projekten zur Erschließung der Blöcke №05–2 und №05–3 auf vietnamesischem Schelf, sodass die russische Seite 2013, nachdem die Gazprom korrigierte Investitionsbescheinigungen erhalten hatte, zum vollberechtigten Teilnehmer dieser Projekte mit einem Anteil von 49 Prozent wurde. Die Blöcke №05–2 und №05–3 liegen im Südosten des Südchinesischen Meeres und haben eine Fläche von insgesamt rund 1.000 Quadratkilometern. Die summarischen Vorräte der in ihren Grenzen liegenden Vorkommen Moc Tinh (05–3), Hai Thach (05–2 und 05–3) werden auf mehr als 55,5 Milliarden Kubikmeter Gas und rund 25 Millionen Tonnen Kondensat geschätzt. Dort starteten wir im September 2013 industrielle Förderung.
Darüber hinaus traten wir 2013 als Partner dem Joint Venture für die Produktion von Erdgaskraftstoff PVGazprom Natural Gas for Vehicles bei. Dieses Unternehmen soll unter anderem die öffentlichen Verkehrsbetriebe des größten Wirtschaftszentrums des vietnamesischen Südens, der Ho-Chi-Minh-Stadt, mit Gaskraftstoff versorgen. Bei der Entwicklung dieses Projekts wird also eben der Süden dieses Landes im Mittelpunkt stehen. Dies wird durch die Logistik des Projekts begünstigt: Erd- und Begleitgas werden in die Gasverarbeitungsfabriken Nam Con Son Terminal und Dinh Co nahe der Stadt Vung Tau gelangen, von wo aus verflüssigtes Gas bereits nach der Ho-Chi-Minh-Stadt und an die Kfz-Tankanlagen im ganzen Lande geliefert werden soll. Wir studieren sicherlich auch andere Möglichkeiten zur Erweiterung unserer Aktivitäten in Vietnam in der Partnerschaft mit PetroVietnam.
Was nun Algerien angeht, so siegte Gazprom International 2008 bei der internationalen Ausschreibung für das fündige Feld El Assel im Berkine Öl- und Gasbecken. Es wurde ein Abkommen über dessen Entwicklung bis 2039 abgeschlossen, das 2009 in Kraft trat. Zum Betreiber des Projekts wurde mit einem Anteil von 49 Prozent die Gazprom International ernannt, während Sonatrach mit 51 Prozent als Partner und Koinvestor auftrat. Die Ausgangsfläche dieses Feldes machte über 3.000 Quadratkilometer aus und war geologisch nur wenig erforscht. 2010 machten wir anhand der Testergebnisse der ersten Suchbohrung eine potentiell kommerzielle Entdeckung auf der Rhourde Sayah Struktur. 2011 konnten wir im südlichen Bereich von El Assel mit einer Such- und Explorationsbohrung die Vorräte des früher entdeckten Vorkommens Zemlet Er Rekkeb bewerten. 2012 führte eine Suchbohrung zur Entdeckung der neuen Gas- und Öllagerstätte Zemlet Er Rekkeb Nord, und im September 2014 bestätigte die Suchbohrung RSHN-1 das Vorhandensein einer weiteren Lagerstätte im nördlichen Teil des Feldes – des Vorkommens Rhourde Sayah Nord.
Nordsee
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Neben Vietnam und Algerien sollten wohl ein paar Worte zu unseren Projekten in der Nordsee gesagt werden. Unsere Anteile und Fördermengen sind dort relativ gering, aber auch das Ziel unserer Beteiligung an diesen Projekten ist ein etwas anderes. Auf dem Schelf der Nordsee im britischen und niederländischen Sektor arbeiten wir in internationalen Konsortien gemeinsam mit britischen, holländischen und deutschen Unternehmen. Wir beteiligen uns an der Entwicklung des Gasvorkommens Wingate sowie an der geologischen Erkundung der fündigen Strukturen Winchelsea und Sillimanite. Die Nordsee ist für die meisten ausländischen Unternehmen in erster Linie ein Testfeld für neue Verfahren bei der Erschließung maritimer Lagerstätten und eine Art Personalschule für praktisch alle Aspekte der Projekt-Umsetzung von der geologischen Bewertung und Bohrung bis hin zu Projektmanagement und Kostenoptimierung. Darüber hinaus kommen dort höchste Anforderungen und Standards im Bereich von Arbeitsschutz und Umweltsicherheit zur Anwendung. Durch unsere Teilnahme an Nordsee-Projekten gewinnen wir für uns extrem wichtige Erfahrungen, die wir in Zukunft in unseren Projekten in anderen Regionen und Ländern nutzen können.
Wir arbeiten in äußerst harter Konkurrenz-Umwelt, was von uns erhöhte Mobilität in unseren Entscheidungen verlangt. Wenn unsere Konkurrenten diese oder jene Möglichkeit betrachten, streben sie angemessene Balance zwischen der Gründlichkeit der Aufarbeitung, der Gliederungstiefe der Analyse und dem vom Markt angebotenen „Window of Opportunities“ an. Häufig gewinnt nicht derjenige den „Preis“, der alle nur möglichen Optionen erwogen und bewertet hat, sondern derjenige, der es schneller tat: Er konnte auf die Situation ohne Verzögerung reagieren, indem er die Analyse in ausreichendem, wenn auch womöglich in keinem maximal möglichen Umfang durchführte. Wir sind dabei selbstverständlich bestrebt, das professionelle Potential, das Ansehen und die Marktpositionen der Gazprom Gruppe voll zum Tragen kommen zu lassen.
- Vielleicht sagen Sie ein paar Worte auch zu anderen Schlüsselprojekten?
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Gewiss. In Bolivien realisieren wir gemeinsam mit der französischen Total als Betreiber sowie mit der staatlichen bolivianischen Gesellschaft YPFB und der argentinischen Tecpetrol Projekte auf den Feldern Ipati, Aquio und Azero. Unser Anteil an den Projekten Ipati und Aquio beträgt 20 Prozent. Dort wurde das Vorkommen Incahuasi entdeckt. Im Projekt des Azero Feldes, besitzen wir momentan, in der Phase der geologischen Erkundung, die wir gemeinsam mit Total betreiben, 50 Prozent. Wir sind uns wie folgt einig geworden: Falls wir auf Azero eine kommerzielle Entdeckung machen, gründen wir ein JV, an dem Gazprom International und Total als Minderheitspartner jeweils 22,5 Prozent besitzen und die verbleibenden 55 Prozent zur staatlichen Öl- und Gasgesellschaft YPFB übergehen werden.
In Tadschikistan haben wir auf der fündigen Fläche Sarikamis das mit 6.450 Metern tiefste Bohrloch in der Geschichte der Öl- und Gasexploration in Zentralasien, Schachrinav-1p, gebohrt. Gegenwärtig sind wir mit der Auswertung der dort gewonnenen einmaligen geologischen und geophysikalischen Daten befasst und bereiten den Start geologischer Erkundungsarbeiten auf einem weiteren Feld, dem West Schochambary, vor.
In Usbekistan haben wir ebenfalls zwei Projekte: das Programm der geologischen Erkundung auf dem Ustjurt-Plateau und der Nachentwicklung des Gasvorkommens Schachpachty, das bereits zu Sowjetzeiten erschlossen wurde. Wir steigern die Förderung, haben die Lagerstätte Dschel entdeckt und bereiten die Unterzeichnung eines Production Sharing Agreements vor.
In Kirgisien bereiten wir in beschleunigtem Tempo den Start der geologischen Erkundung auf unseren beiden Lizenzfeldern – Kugart und Ost Mailu-Suu IV – vor. Gegenwärtig sind wir dort dabei, Bauunternehmer zu selektieren.
In Bangladesch betreiben wir ein gemeinsames Projekt mit der staatlichen Öl- und Gasgesellschaft Petrobangla, bei dem es um Förderbohrungen auf mehreren Gaslagerstätten geht. Die Gründung eines Joint Ventures wird vorbereitet.
- Woran knüpfen Sie die Entwicklungsperspektiven der Gazprom International?
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Unter dem Gesichtspunkt aussichtsreicher Projekte und Regionen stellen sich in der gegenwärtigen Situation Projekte in Lateinamerika und Südostasien als besonders interessant dar. Wir suchen dabei aktiv nach neuen Möglichkeiten nicht allein im traditionellen Bereich der Erkundung und Gewinnung von Kohlenwasserstoffen, sondern erwägen auch Varianten in angrenzenden Sektoren einschließlich Gaskraftstoff und Elektroenergie. Als Beispiel unserer Aktivitäten in dieser Richtung lässt sich das erwähnte Gaskraftstoff-Projekt sowie die Idee des Baus eines Kraftwerks in der Dominikanischen Republik anführen, die wir überaus interessant finden. Wir sind auch bestrebt, unsere Präsenz in den GUS-Ländern zu erweitern und zu stärken. Einen wesentlichen Impuls der Entwicklung in dieser Richtung erhielt in der jüngsten Zeit unsere Zusammenarbeit mit Kirgisien.
- Im vorigen Jahr unterschrieb die Gazprom International ein Abkommen über Zusammenwirken mit der ОАО Gazprom Neft. Was setzt es voraus?
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Sein Ziel ist Informationsaustausch und Koordinierung der Aktivitäten auf Auslandsmärkten. Wir bildeten eine gemeinsame Arbeitsgruppe, um unsere Zusammenarbeit im Informationsbereich auf regelmäßige Basis zu stellen und auf diese Weise Konkurrenz zwischen Unternehmen der Gazprom Gruppe bei Ausschreibungen außerhalb Russlands zu vermeiden. So hatten unsere Gesellschaften im vorigen Jahr eine gemeinsame Position für Ausschreibungen in Nordafrika und im Balkan formuliert, wodurch sich eine Verdoppelung der Kosten bei der Beschaffung von Ausgangsdaten ausschließen ließ. Information wird zu Schelfprojekten und Perspektiven der Tätigkeit in Regionen strategischer Prioritäten der Gazprom Gruppe ausgetauscht. Dabei schließen Gazprom International und Gazprom Neft keine Möglichkeit gemeinsamen Beitritts zu Auslandsprojekten in nachfolgenden Etappen aus.
Jede Gesellschaft, die sich auf den Binnenmarkt beschränkt, läuft Gefahr, nicht nur vorhandene Positionen einzubüßen, sondern auch um viele Jahre zurückzubleiben
Global Corporation
- Häufig wird die Frage gestellt, wozu die Gazprom Projekte im Ausland benötige, wo sie doch riesige Vorräte an Kohlenwasserstoffen in Russland besitze und ein hohes Niveau der Förderung erziele.
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In Russland gibt es in der Tat riesige Vorräte, die einen augenscheinlichen Wettbewerbsvorteil der Gazprom darstellen. Kann die Gazprom es sich aber leisten, sich allein auf eigene Vorräte zu konzentrieren und auf Auslandsprojekte vollständig zu verzichten, dabei aber ein globaler Energiekonzern bleiben? Ich glaube nicht. Unter den heutigen Verhältnissen konkurrieren globale Energieunternehmen auf allen Ebenen miteinander: um lukrative Fördermärkte, aussichtsreiche Absatzmärkte, neue Technologien, finanzielle und menschliche Ressourcen. Wir bekommen diese Konkurrenz sehr deutlich zu spüren. Jede Gesellschaft, die sich auf den Binnenmarkt beschränkt, läuft Gefahr, nicht nur vorhandene Positionen einzubüßen, sondern auch um viele Jahre zurückzubleiben.
Wir sind als bevollmächtigte Struktur der Gazprom für Projekte im Bereich der Erkundung, Entwicklung und Förderung außerhalb Russlands zuständig. Im Rahmen dieser Funktionen lösen wir Aufgaben, die uns durch die Geschäftsführung gestellt werden, und zwar bei der Realisierung bestehender und beim Eintritt in neue vielversprechende Projekte. Dabei müssen wir klar erkennen, dass unser Aktionär von diesen Projekten ein bestimmtes Resultat erwartet, das wir erzielen sollen. Dies ist in erster Linie die Erwirkung eines beachtlichen Anteils am internationalen Markt der Förderung von Kohlenwasserstoffen. Vergrößerung der Vorräte und Fördermengen im Ausland ist jedoch kein Selbstzweck. Unsere Projekte sollen den Vorgaben wirtschaftlicher Effizienz aus der Sicht des Verhältnisses zwischen Risiko und erwartetem Ertrag gerecht werden. Darüber hinaus soll unser Portfolio in einer ganzen Reihe von Parametern ausbalanciert sein, darunter in Bezug auf die Verteilung über Länder und Regionen, das Verhältnis zwischen Projekten in der Phase der Förderung bzw. der geologischen Erkundung, das Verhältnis zwischen See- und Festlandprojekten sowie den Anteil der Projekte, in denen wir als Betreiber wirken.
Es geht auch um Gewinnung fortgeschrittener technologischer Erfahrungen. So etwa in der Nordsee, wo Technologien einer der Schlüsselfaktoren des Erfolgs sind. Ein weiteres Beispiel sind die geplanten Tiefseebohrungen in Vietnam. Keineswegs weniger relevant sind auch die Organisations- und Managementfertigkeiten, die wir durch Realisierung von Auslandsprojekten fördern. In gemeinsamen Projekten müssen wir mit unseren Partnern eine gemeinsame Sprache sprechen. Und dies ist kein theoretischer Aspekt. So wie im System der Gazprom gibt es auch bei unseren ausländischen Partnern eine klare Vorstellung von den Phasen der Projektumsetzung, den Punkten von Schlüsselentscheidungen und dem Umfang der Analyse und Vorbereitungsarbeit, der für begründete Entscheidungen erforderlich ist. Das Problem liegt darin, dass unsere traditionellen Vorgehensweisen den Standards von Auslandsmärkten häufig nicht angemessen sind. Es geht aber nicht darum, welche Vorgehensweisen richtiger sind. Die sind einfach unterschiedlich. Für uns kommt es verständlicherweise darauf an, deren Standards des Projektmanagements klar zu begreifen, um Termine und Leistungsumfang in jeder Phase vereinbaren zu können. Dies gilt gleichermaßen für Projekte, in denen wir als Betreiber agieren, wie auch für jene Projekte, wo unsere Partner Betreiberfunktionen wahrnehmen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Eintritt in angrenzende Sektoren. Die Effizienz eines beliebigen Projekts in der Förderung hängt nicht allein von der Wirksamkeit und dem Preis technologischer Lösungen, sondern auch vom Erlös ab, der sich durch den Absatz der gewonnenen Kohlenwasserstoffe erzielen lässt. Dabei verteilt sich in verschiedenen Ländern und Regionen die Marge entlang der Kette von der Gewinnung bis zum Endkunden jeweils unterschiedlich, und zwar je nach Besonderheiten der Regulierung, der Balance zwischen Nachfrage und Angebot, dem Entwicklungsstand der Infrastruktur und angrenzender Segmente wie etwa Elektroenergie und Erdgaskraftstoff. Da ergeben sich Situationen, in denen ein Projekt zur Förderung von Kohlenwasserstoffen ganz einfach gemeinsam mit dem Bau einer Gastransport-Infrastruktur oder etwa einer Fabrik für Erdgasverflüssigung realisiert werden muss. Ebenso ermöglicht es häufig die Verbindung eines Projekts für die Förderung mit einem Projekt in einem angrenzenden Segment, so etwa mit dem Aufbau Strom generierender Kapazitäten, Synergieeffekte zu erzielen und die summarischen wirtschaftlichen Resultate zu verbessern. Die Möglichkeit, der Regierung dieses oder jenes Landes eine umfassende Lösung anzubieten, verbessert gleichfalls die Perspektiven der Zusammenarbeit wesentlich. Dabei ist es augenscheinlich, dass wir in solchen Projekten eng mit Fachorganisationen der Gazprom Gruppe zusammenarbeiten. So wie etwa in Vietnam mit der ООО Gazprom Gazomotornoye Toplivo.
Ein weiterer äußerst wichtiger Aspekt ist die Stärkung des geschäftlichen Ansehens der Gazprom als hochtechnologische internationale Gesellschaft, die mit ihren Partnern in allen Regionen der Welt eine gemeinsame Sprache spricht.
- Welche Schlüsselaufgaben stehen vor der Gazprom International in überschaubarer Zukunft?
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Es ist die Aufgabe, unser Projekt-Portfolio hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Förderung und Erkundung auszubalancieren. Es hat sich historisch so ergeben, dass sich unser Portfolio im Wesentlichen aus Projekten in der Phase der geologischen Erkundung zusammensetzt, während der Anteil der Projekte in der Phase der Förderung relativ gering ist. Bei internationalen Gesellschaften sind es indes zu 70–80 Prozent Projekte, in denen schon die Förderung läuft bzw. die kurz vom dem Start der Förderung stehen. Dieses Missverhältnis wirkt sich also ganz sicherlich auf unsere Resultate aus. Für uns kommt es somit darauf an, dieses Problem bereits in überschaubarer Zukunft zu bewältigen.