Er kannte Gazprom wie sich selbst. Zum 85. Geburtstag von Rem Vyakhirev

23. August 2019

Auszüge aus dem Buch „Rem Ivanovich Vyakhirev“. RMP Verlag, 2014

Rem Vyakhirev. Foto: RIA Novosti
Rem Vyakhirev. Foto: RIA Novosti

Rem Vyakhirev. Foto: RIA Novosti

Bedienungskraft einer Erdölanlage. Kilometerlang mit Werkzeug auf der Schulter unterwegs

Nach seinem Hochschulabschluss arbeitete Rem Vyakhirev ein paar Jahre als Bedienungskraft und Streckenwärter auf Erdölfeldern. Damit der Leser eine Vorstellung davon bekommt, was das bedeutet, erkläre ich es kurz: Tag und Nacht, bei Hitze und eisiger Kälte zog dieser Arbeiter mit Gasmaske und Werkzeug auf der Schulter damals, in den fünfziger Jahren, Streife auf Ölfeldern und prüfte den Zustand von Tiefpumpen. Zur Not und soweit es möglich war, nahm er kleine Reparaturen vor oder holte eine Reparaturbrigade.

So legte er während seiner Dienstschichten rund um die Uhr dutzende Kilometer zurück.

In jenen Jahren hatte Vyakhirev nicht einmal ein Fahrrad.

Erst in Neftegorsk begann der berufliche Aufstieg von Vyakhirev, wobei er sich erst dort auf die Gasbranche spezialisierte.

(von Alexander Stepanov)

Bohrloch Nr. 50 des Feldes Kuleschowskaja im Kreis Neftegorsk, Gebiet Kuibyschew, 1959
Bohrloch Nr. 50 des Feldes Kuleschowskaja im Kreis Neftegorsk, Gebiet Kuibyschew, 1959

Bohrloch Nr. 50 des Feldes Kuleschowskaja im Kreis Neftegorsk, Gebiet Kuibyschew, 1959

Gasfachmann. Es glückt nicht alles auf Anhieb

Vyakhirevs Laufbahn als Gasfachmann konnte enden, noch bevor sie richtig begonnen hatte: Beim ersten Anlauf explodierte ein Separator.

Rem Vyakhirev erzählte später über diesen Vorfall: „Wir hatten einen Separator, der Gas von Kondensat trennte. Er funktionierte ein paar Tage und explodierte. Zwei Menschen kamen dabei ums Leben. Wir rannten alle dorthin, um die Ventile abzudrehen, sonst wäre alles in die Luft geflogen. Das steht mir heute noch vor Augen. Es war Tag der Raumfahrt, der 12. April. Wir liefen, fast bis Bauch im Dreck. Dann kam der Minister eingeflogen, es wurde ermittelt. Für mich konnte das ein schlimmes Ende nehmen. Aber ich hatte Glück, die Minister waren selbst vom Fach, sie waren Ingenieure. Es wurde entschieden, mich nicht aus der Partei auszuschließen, obwohl dieser Gedanke nahelag. Man wurde nämlich meistens ausgeschlossen, nur um vor Gericht geladen zu werden.“

An dieser Stelle verschwieg Rem Vyakhirev seinen Mut, den er an den Tag gelegt hatte. Um die Menschen vor der hereinbrechenden Katastrophe zu retten, zog er einen Gasschutzanzug über und kletterte in den Schacht, um die Ventile am Gasrohr abzudrehen. Er selbst wurde anschließend mit Mühe und Not wieder auf die Beine gestellt. Vielleicht hatten sie deshalb im Gebietsparteikomitee mit ihm Mitleid und berücksichtigten, dass er selbst eine vielleicht noch größere Tragödie verhindert hatte. Allerdings war die Strafe skurril: Eine berüchtigte Behörde verhängte für ihn Ausreiseverbot. Was noch skurriler war: Man bot ihm ein Amt in der Industrieabteilung des Gebietsparteikomitees an!

(von Alexander Stepanov)

„Ein Unikum ist er, unser Vyakhir“

Ich nahm als angehender Literat mit einer Gruppe von Schriftstellern aus Kuibyschew an einem Künstlertreffen mit der Belegschaft des Betriebs für Erdölstabilisierung teil. Nach der Veranstaltung wurden wir mit einem Bus nach Neftegorsk gefahren, in Begleitung von ein paar Arbeitern, die uns „zugewiesen“ worden waren. Wir diskutierten nicht nur leidenschaftlich über unsere dichterischen Auftritte vor den Mitarbeitern des Betriebs, sondern teilten auch unsere angenehmen Eindrücke vom Betrieb: die ebenen Asphaltwege, die sorgfältig gemähten Rasenflächen, die vielen Blumenrabatten und Obstbäume.

„Da habt ihr noch nicht alles gesehen: Der Chef hat eine Viehfarm angelegt! Zum Mittagessen gibt es in der Kantine frische Milch und frisch geschlachtetes Fleisch von der Farm“, fügte ein Arbeiter zu unserer Begeisterung hinzu.

„Ja-a, ein Unikum ist er, unser Vyakhir: Hat mich mit den letzten Worten beschimpft, aber ich nehme es ihm komischerweise nicht übel. Denn ganz ehrlich gesagt, hab ich die Rüge tatsächlich verdient. Ein anderer hätte an seiner Stelle gebrabbelt, sodass man nicht verstehen würde, was er von einem will: Ob man vor ihm in die Knie gehen oder sich selbst auspeitschen soll. Das ist deprimierend. Nicht weil man versagt hat, sondern weil so ein Chef lästig ist...“

Der Arbeiter nannte ihn, den Betriebsleiter, Vyakhir, und diesen gutmütigen Spitznamen hörte ich von seinen Mitarbeitern häufig!

(von Alexander Stepanov)

Erdölfeld Kuleschowski im Kreis Neftegorsk, Gebiet Kuibyschew
Erdölfeld Kuleschowski im Kreis Neftegorsk, Gebiet Kuibyschew

Erdölfeld Kuleschowski im Kreis Neftegorsk, Gebiet Kuibyschew

Im Wohnwagen am Objekt

Rem Vyakhirev war Produktionsmanager im besten Sinne des Wortes. Ein Mann, dem die Arbeit nahezu alles bedeutete.

Man erzählte sich, dass Vyakhirev beim Bau einer Pipeline am Objekt wohnte. Seine Mitarbeiter sahen des Öfteren, wie er mit nacktem Oberkörper und einem Handtuch um den Hals aus einem Wohnwagen für Fahrer, in dem er während seines Aufenthalts auf der Baustelle untergebracht worden war, herauskam, um „ein Wasserbad zu nehmen“.

Nach dem Frühstück machte Rem Vyakhirev zu Fuß einen Objektrundgang, sprach mit Meistern und Bauarbeitern, hörte ihnen zu, gab Empfehlungen und las zuweilen den Bauleitern die Leviten, wenn sie etwas verpfuscht hatten. Er kannte sich in allen Feinheiten seines Jobs blendend aus.

Rem Vyakhirev mit dem Leiter eines Produktionsbereichs
Rem Vyakhirev mit dem Leiter eines Produktionsbereichs

Rem Vyakhirev mit dem Leiter eines Produktionsbereichs

Rem Vyakhirev begleitet eine Delegation des sowjetischen Ministeriums für Gasindustrie auf dem Industriegelände der Orenburggazprom
Rem Vyakhirev begleitet eine Delegation des sowjetischen Ministeriums für Gasindustrie auf dem Industriegelände der Orenburggazprom

Rem Vyakhirev begleitet eine Delegation des sowjetischen Ministeriums für Gasindustrie auf dem Industriegelände der Orenburggazprom

Arbeit als Hobby

Unser Vater hatte einen Job, bei dem er wenig Zeit für uns hatte. Er kam spät aus dem Dienst. Ihm blieb nur Zeit, um etwas zu essen, sich auszuschlafen, und dann ging es weiter. Dafür verbrachte er seine Wochenenden immer mit der Familie. In den Urlaub ans Schwarze Meer reisten wir immer zusammen. Das war regelrecht Tradition.

Meine Schwester Tatiana und ich waren im Grunde genommen brave Kinder, deshalb konnte unser Vater uns gegenüber wohl kaum streng sein. Es lief im Großen und Ganzen alles normal, wie bei vielen. Ohne Prügel.

Die Wochenenden verbrachten wir auf der Datscha.

Im Herbst „wetteiferten“ alle mit ihrer Ernte: Wer die meisten Gurken, Tomaten und Zucchini gezüchtet hatte... Selbst eingelegtes Gemüse und selbst eingekochte Konfitüren haben noch niemandem geschadet. Mutter konnte das wunderbar. Die Datschengrundstücke lagen in der Nähe des Städtchens für Gasfachleute, sodass nicht groß gebaut werden musste: Nur ein kleines Holzhaus, um dort hin und wieder unterzuschlüpfen. Vater hatte damals keinen Sinn für Jagd und Angeln, und der Ural ist dort auch nicht so reich an Fischen. Sein Hobby und seine Leidenschaft war die Arbeit. Mit seiner Familie und auf dem Datschengrundstück erholte er sich.

Vater ließ sich über seine Arbeit nicht groß aus, aber wir alle waren auf die eine oder andere Weise involviert. Mutter arbeitete in derselben Verwaltung als Betriebswirtin. Vater bekam Besuch von seinen Kollegen: Viktor Chernomyrdin, Vyacheslav Sheremet und anderen... 

(von Yury Vyakhirev)

Rem Vyakhirev und seine Frau Lyubov genießen ihren Urlaub
Rem Vyakhirev und seine Frau Lyubov genießen ihren Urlaub

Rem Vyakhirev und seine Frau Lyubov genießen ihren Urlaub

Ratschläge eines Profis

Kollegen von Rem Vyakhirev erzählen gern, wie er sich bei Arbeitsbesprechungen verhielt. Wenn Vyakhirev von einem Störfall an einer Pipeline hörte und erfuhr, dass eine Reparaturbrigade zum Unfallort gefahren war, fluchte er zuerst, hielt anschließend inne, massierte sich die Schläfen und fing dann an, Ratschläge zu geben: „Sag den Jungs, sie sollen bloß nicht geradeaus fahren, dort beginnt nach dem 115. Kilometer Sumpfgelände. Da fahren sie die Technik zu Schrott. Sie müssen einen Umweg nehmen, oberhalb und dann abwärts fahren, dort liegt hinter dem 118. Kilometer eine Senke, da kommen sie besser ran.“

Er kannte Gazprom wie sich selbst.

Rem Vyakhirev. Foto: Vyacheslav Polunin
Rem Vyakhirev. Foto: Vyacheslav Polunin

Rem Vyakhirev. Foto: Vyacheslav Polunin